Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft
zusammengestellt von Dr. Uwe Meya
13. November 2003
Intensivierte Virus-Attacken auf Computernetzwerke der Tibeter
Wie schon im vorigen Jahr [vergl. Tibet-Information vom 7.Oktober 2002; UM] verzeichnen die Tibetische Regierung im Exil und Unterstützergruppen Virusattacken auf ihre Computernetzwerke. Diese Virus-Aktivität hat sich im Monat Oktober deutlich intensiviert. Die Zunahme könnte mit der auch im Oktober stattgefundenen internationalen Konferenz der Unterstützer-Gruppen in Prag zusammenhängen.
Ein Computerspezialist, der die 400 Computer der Tibetischen Regierung im Exil versorgt, sprach von einer „unglaublich hohen“ Intensität der Attacken, die ihn täglich 4 Stunden seiner Arbeitszeit kosteten. Die Viren waren in Mails mit vorgeblichem Absender von Mitarbeitern der Exil-Administration oder von Microsoft versteckt und erschienen spezifisch dazu gefertigt, vor der Konferenz in Prag an vertrauliche Informationen über Aktivitäten der Unterstützergruppen oder die Agenda des Dalai Lama zu gelangen. Die International Campaign for Tibet konnte die Herkunft einiger virus-infizierter Mails bis zu einem Internet-Anbieter in Beijing zurückverfolgen.
Als diese Aktivität offenbar wurde, schienen die Absender der Viren ihre Strategie zu ändern und versteckten diese in Mails, die als Herkunft diverse Tibet-Unterstützergruppen vorgaben. Während das Netzwerk der Exil-Administration gut gegen Viren geschützt ist, sind die Computer der Unterstützergruppen meist verletzlicher und könnten so als „Hintertür“ zur Exil-Administration genutzt werden.
Kalmükischer Präsident als Vermittler zwischen Dalai Lama und Beijing?
Noch kürzlich [vergl. Tibet-Information vom 6. Oktober 2003; UM] hatte sich der Präsident der Kalmükischen Republik in Russland, Kalsan Ilyumzhinov, darüber beklagt, dass das russische Aussenministerium dem Dalai Lama auf Druck aus China ein Einreise-Visum verweigert hatte. Kurz darauf besuchte Präsident Ilyumzhinov auf Einladung der chinesischen Regierung selbst China und Tibet. Offizielle Stellen in Russland, mit deren Einverständnis Ilyumzhinov diese Reise angetreten hatte, dementierten seine Rolle als Vermittler. Diese Rolle könne er nicht erfüllen, da er als Buddhist nicht unparteilich sei und die Tibet-Frage ohnehin eine „innerchinesische Angelegenheit“ darstelle. Allerdings machte der Sprecher des russischen Aussenministeriums eine Bemerkung, wonach Fortschritte in den Gesprächen zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Regierung „wünschenswert“ seien. Associate Press hingegen stellte Ilyumzhinov als „inoffiziellen Vermittler“ dar, der sich in Beijing auch mit Repräsentanten der chinesischen Regierung getroffen habe.
In der vergangenen Woche traf Ilyumzhinov den Dalai Lama während seines Japan-Besuches in Tokyo und beschrieb ihm seine Eindrücke der Tibet-Reise. Ilyumzhinov zitierte den Dalai Lama, dass dieser an Kontakten mit China „auf einer permanenten Basis“ interessiert sei und sowohl auf eine Fortsetzung der China-Besuche seiner Gesandten hoffe als auch auf eine Einladung an ihn selbst. Der Dalai Lama würde die territoriale Integrität und Unteilbarkeit Chinas nicht in Frage stellen und sei nach den Worten Ilyumzhinovs zuversichtlich, dass er in spätestens drei Jahren nach Tibet zurückkehren könne. Zuvor müssten aber noch Fragen bezüglich des massiven Zustroms von Chinesen nach Tibet und des Umweltschutzes geklärt werden.
Ilyumzhinov sagte der Presse in Tokyo, dass er dem Dalai Lama „objektive Informationen“ über die Situation in Tibet vermittelt habe. Diese Informationen bestanden nach seinen Worten aus dem folgenden: „Ich sagte ihm, dass die Religion vom Staat unterstützt wird, dass man in Tibet investiert. Es gibt dort bereits vier Flughäfen, und die Telekommunikation und Infrastruktur werden weiter entwickelt.“
Quellen: Associate Press
9. Oktober 2003
Wieder stirbt ein politischer Gefangener, hinterlässt „politisches Testament"
Wieder ist ein politischer Gefangener an den Folgen erlittener Misshandlungen gestorben. Der Mönch Nyima Drakpa ist am 2. Oktober , nur 9 Tage nach seiner Hospitalisierung aus einem Gefängnis in Dawu (heute in die chinesische Provinz Sichuan inkorporiert), verstorben. Er war im Oktober 2002 zu 9 Jahren Haft verurteilt worden, weil er politische Plakate hergestellt und verteilt hatte.
Er hatte mit Datum 1. April 2003 einen an den Dalai Lama addressierten Brief verfasst, der als eine Art „politisches Testament“ zu sehen ist und auf seinen ausdrücklichen Wunsch erst nach seinem Tode veröffentlicht werden sollte. Dieser Brief konnte ins Ausland geschmuggelt werden und wurde nun von Radio Free Asia der Oeffentlichkeit zugänglich gemacht. Hier schildert Nyima Drakpa die seit seiner Verhaftung im März 2000 erlittenen Misshandlungen, verteidigt sein Handeln und sieht seinen nahen Tod voraus.
Auszüge aus seinem Brief [deutsche Uebersetzung aus der englischen Meldung von Radio Free Asis; UM]: „Ich weiss, dass ich nicht mehr lange zu leben habe. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod…Nach dem Studium der grossartigen Geschichte unserer Vorfahren, die unser Land regiert haben, habe ich den Mut und den Willen, auch mein Leben für die Tibeter zu opfern… Ich beschloss, mein Leben zu opfern und Plakate aufzuhängen.“
Nach Berichten eines Augenzeugen konnte Nyima Drakpa bei der Aufnahme in das Spital am 23. September nicht mehr sprechen, und seine Beine hätten „dünn und leblos“ gewirkt. Ein Sprecher des Chinesischen Büros für Staatssicherheit in Dawu teilte Radio Free Asia am 2. Oktober, dem Tage seines Todes, telefonisch mit, dass Nyima Drakpa „bei guter Gesundheit und frei von Beschwerden“ sei.
China verstärkt Tibet-Propaganda im Internet
Eine Untersuchung, die durch das Tibet Information Network (London) durchgeführt wurde, zeigt die Zunahme chinesisch dirigierter Propaganda über Tibet im Internet. Die in der letzten Zeit in China eingerichteten Internet-Portale wie „Tibetinfor“, „TibetOnline“, „TibetGuide“ und „China Tibetology Research Center“ zeichnen ein Tibet-Bild ausschliesslich aus chinesischer Sichtweise. Darin wird Tibet dargestellt als eine wilde, rückständige Region, wenngleich mit einer farbenfrohen und exotischen Kultur. Die Internet-Portale zeigen die Tendenz, die Bedeutung des Buddhismus herunter zu spielen und betonen stattdessen auffallend Aspekte der tibetischen Kultur aus vor-buddhistischer Zeit.
Auftraggeber dieser Internet-Portale sind in der Regel chinesische Regierungsstellen, und entsprechend beschreiben die aufgeschalteten Artikel jeweils auch ausschliesslich Aspekte, die im Einklang mit der gegenwärtigen Politik stehen, wie z.B. den Eisenbahnbau. Auch die Darstellung historischer Aspekte folgt dem offiziellen Standpunkt, dass Tibet schon lange ein integraler Bestandteil Chinas war, wie beispielsweise die folgende Feststellung von „Tibetinfor“ [deutsche Uebersetzung aus dem Englischen; UM]: „Die tibetischen Regionen befinden sich seit über 700 Jahren unter der Jurisdiktion von China, und diese historische Beziehung basiert auf einer über 1300-jährigen positiven Tradition von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontakten zwischen den Han-Chinesen und Tibetern.“
Mit der gleichzeitigen Unterdrückung ausländischer Internet-Adressen über Tibet wird innerhalb Chinas damit ein noch stärker einseitiges Bild von Tibet propagiert.
Quellen: Radio Free Asia; Center for Human Rights and Democracy (TCHRD); Tibet Information Network
4. Oktober 2003
Russland verweigert dem Dalai Lama erneut ein Visum
Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres hat Russland dem Dalai Lama ein Einreise-Visum verweigert. Der Dalai Lama plante, in der Kalmükischen Republik einen Tempel einzuweihen. Die Verweigerung des Visums erfolgte zeitgleich mit einem Besuch des russischen Ministerpräsidenten in Beijing, wo dieser über ein Pipeline-Projekt mit China verhandelt. Ein Sprecher des russischen Aussenministeriums sagte als Begründung, man müsse die „internationalen Interessen Russlands“ berücksichtigen und streng auf die Einhaltung von „internationalen Verpflichtungen, insbesondere den Freundschaftsvertrag mit China“ achten. China habe „eine negative Haltung“ gegenüber den „internationalen Aktivitäten“ des Dalai Lama. Etwas zynisch mutet die weitere Begründung an, Russland wolle mit der Verweigerung des Visums die gegenwärtigen Gespräche der Repräsentanten des Dalai Lama mit China nicht belasten.
Ein Sprecher der Kalmüken zeigte sich über die erneute Verweigerung des Visums tief enttäuscht. In Russland leben ca. 1 Millionen Buddhisten. Zuletzt hatte Russland den Dalai Lama vor 10 Jahren einreisen lassen.
China schliesst Klosterschule in Ost-Tibet; Gönner spurlos verschwunden
Erneut hat China einen Ort der buddhistischen Lehre in Ost-Tibet geschlossen. Ende Juli wurde eine in der Präfektur Ngaba (heute in die Provinz Sichuan inkorporiert) gelegene und mit dem Kloster Kirti assoziierte tibetische Schule, die ca. 800 Schüler beherbergte, offiziell geschlossen. Der Gönner der Schule, der tibetische Geschäftsmann Soepa Nagur, wurde Anfang August zu Gesprächen über die Schule in die Provinzhauptstadt von Sichuan, Chengdu, bestellt und ist seither spurlos verschwunden.
Die Klosterschule wurde 1994 mit Spenden von Soepa Nagur gegründet und beherbergte am Ende ca. 800 Schüler. Sie war besonders unter armen Bauern und Nomaden sehr populär, welche ansonsten ihren Kindern keine Schulbildung hätten bezahlen können. Das Curriculum umfasste buddhistische Philosophie, Dialektik, tibetische Geschichte, Sprache, Grammatik, Kalligraphie, Astrologie und Allgemeinwissen.
Im Jahre 1998 übernahmen die Behörden offiziell die Leitung der Schule und ersetzten die religiösen Inhalte des Curriculum zunehmend durch chinesische Sprache und sozialistische Philosophie, welche von chinesischen Lehrern unterrichtet wurden. Auch wurde die Schule umbenannt und allen Schülern Strafen angedroht, die den alten Namen weiter verwenden wollten. Schliesslich wurden die tibetischen Schüler gezwungen, ihre Mönchsroben abzulegen und chinesische Schuluniformen zu tragen. Vor zwei Jahren wurde die Schule mit einer öffentlichen Schule zusammengelegt, verlor aber zunehmend ihre tibetischen Schüler. Nach einem Protest der tibetischen Eltern konnte die Schule kurz zur alten Normalität zurückkehren. Jedoch wurde die Schule Ende Juli 2003, kurz vor Ende der Sommerferien, offiziell für geschlossen erklärt.
Über das Schicksal der Schüler im Alter von 7-20 Jahren ist nichts Konkretes bekannt. Viele Schüler sind offenbar zu ihren Eltern zurückgekehrt, während andere um Aufnahme in das benachbarte Kirti-Kloster gebeten haben.
Quellen: Los Angeles Times; Tibetan Center for Human Rights and Democracy (TCHRD)
28. August 2003
Mobile Einheiten zur Geburtenkontrolle
Die Behörden der „Autonomen Region Tibet“ (TAR) haben ihre Bemühungen zur Geburtenkontrolle auch in entlegenen Regionen Tibets verschärft. Seit Mai sind insgesamt 64 speziell ausgerüstete Fahrzeuge in Dienst gestellt worden, die als mobile „Familienplanungs-Kliniken“ in verschiedene Regionen Tibets entsandt werden. Laut der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua sollen diese ambulanten Einheiten medizinische Untersuchungen der Frauen vornehmen, Verhütungsmittel ausgeben, Richtlinien der Familienplanung publik machen und auch Patiententransporte durchführen.
Tibeter, die in entlegenen Regionen wohnen, müssen nicht selten tagelange Reisen auf sich nehmen, um lokale Gesundheitsposten zu besuchen. Diese sind im Winter oder während der Regenperiode vollkommen unerreichbar. Auch sind diese meist nur mit unzureichend ausgebildetem medizinischem Hilfspersonal ausgestattet. Reisen in Hospitäler, die medizinisch qualifiziertes Personal aufweisen, sind noch länger. Diese Umstände dürften nicht unwesentlich zu der hohen Sterblichkeit unter werdenden Müttern beitragen. Insofern werden viele Tibeterinnen die mobilen Einheiten begrüssen.
Andererseits ist bekannt, dass Frauen, die bereits zwei oder drei Kinder zur Welt gebracht haben, starken Pressionen zur Kontrazeption oder Sterilisation ausgesetzt sind. Es ist Aufgabe der jeweiligen Repräsentantin der chinesischen Frauenvereinigung auf Dorfebene, solche Frauen ausfindig zu machen und diese an entsprechende Einrichtungen weiter zu verweisen. Es ist daher zu erwarten, dass sich mit den mobilen Einheiten dieser Druck auch in sehr entlegene Regionen ausweiten wird. Auch werden die einseitige Ausrichtung von stationären und mobilen Einheiten auf hormonale Kontrazeption in der Geburtenkontrolle anstatt einer mehr umfassenden Gesundheitserziehung, die stark eingeschränkte Wahl anderer Verhütungmittel sowie die zumeist mangelhafte medizinische Ausbildung des Personals kritisiert.
Widersprüchliche Signale aus China
Am 22. Juli publizierte People’s Daily, das offizielle Organ der Kommunistischen Partei Chinas, eine ungewöhnlich ausführliche Auseinandersetzung mit dem “Mittleren Weg”, den der Dalai Lama für die Autonomie Tibets verfolgt. Beobachter erstaunte die Ausführlichkeit und Sachlichkeit des Artikels, die von der bisherigen pauschalen Verdammung und Polemik der Vergangenheit deutlich abweicht. Dieser Artikel repräsentiert die längste und detaillierteste Diskussion der Position des Dalai Lama, die bisher in der chinesischen Presse erschienen ist. People’s Daily bestätigt dem Vorschlag sogar “inhaltliche Reife”. Zwar wird dem Dalai Lama wieder vorgeworfen, der Autonomie-Vorschlag verfolge im Geheimen noch immer die volle Unabhängigkeit Tibets, doch überrascht die Abwesenheit von Polemik, die in den Medien seit einigen Monaten weitgehend eingestellt wurde.
Eine weitere Überraschung in diesem Artikel ist die Erwähnung der chinesischen Provinzen Sichuan, Yunnan, Qinghai und Gansu, in die Teile des historischen Tibet nach der Invasion inkorporiert wurden. Bisher hatte Beijing sich kategorisch geweigert, diesen Punkt auch nur zur erwähnen, während der Artikel jetzt den Versuch einer Rechtfertigung der Inkorporation macht. Der künftige Status dieser ehemals tibetischen Gebiete stellt eine der grössten Hürden in den Kontaktgesprächen zwischen den Gesandten des Dalai Lama und der chineischen Regierung dar. Auch die Tatsache, dass der Artikel während des Besuches des britischen Premierministers Blair in China erschien, sorgte unter Beobachtern für Aufmerksamkeit. In aller Regel wird in Chinas stark regulierter Presselandschaft der Zeitpunkt der Publikation markanter Artikel nicht dem Zufall überlassen.
Beobachtern rätseln, ob dieses ein beginnendes Umdenken in der neuen chinesischen Führung darstellt. Dieses könnte mit dadurch ausgelöst und verstärkt sein, dass immer mehr tibetische Studenten zur Ausbildung nach Beijing kommen und dort gemeinsam mit chinesischen Intellektuellen die Tibet-Frage in zunehmender Offenheit diskutieren.
Andererseits hingegen verweigerte China einer neunköpfigen Delegation von prominenten Exil-Tibetern die Einreise, angeblich weil diese „Spalter der Nation“ seien. Der Besuch der Delegation, der unter anderem auch drei ehemalige Kalons (Minister in der Regierung im Exil) angehören sollten, war vor einem Jahr beim China-Besuch des Bruders des Dalai Lama, Gyalo Thondup, ins Auge gefasst worden.
Quellen: Kate Saunders (freie Mitarbeiterin Tibet Information Network); Xinhua; Radio Free Asia
3. Juli 2003
Bilanz des Tibet-Besuches der Gesandten des Dalai Lama
Die Gesandten des Dalai Lama haben ihren zweiten Besuch in China mit einer positiven Bilanz abgeschlossen. Sie zeigten sich beeindruckt von "der Aufmerksamkeit und Aufrichtigkeit", die China in den Gesprächen zeigte. Auch wurde in der Presse-Erklärung positiv hervorgehoben, dass den Gesandten der Besuch derjenigen tibetischen Regionen gestattet wurde, die nach der Invasion in chinesische Provinzen integriert wurden. Diese Regionen waren bisher von China strikt aus allen Betrachtungen zu Tibet ausgeklammert worden. Die Gesandten äusserten sich positiv über die Bemühungen Chinas, die Natur zu schützen und die Lebensbedingungen der dortigen Menschen zu verbessern. Von chinesischer Seite wurden die Bemühungen der Tibeter für ein "förderliches Gesprächsklima" gelobt. Mit dieser Redewendung dürfte der Aufruf der Regierung im Exil an die Tibeter und Unterstützer gemeint sein, auf allzu drastische anti-chinesische Proteste zu verzichten oder offen die Unabhängigkeit Tibets zu fordern.
Indessen äusserten sich unabhängige Beobachter kritischer über einen Fortschritt zwischen beiden Seiten und hinterfragten die Motive Chinas hinter diesem Dialog. Es fiel auf, dass die Presse-Erklärung wenig Neues verglichen mit derjenigen von September letzten Jahres enthielt. Dieses veranlasste einige Kommentatoren zu der Frage, ob die Gespräche vielleicht ins Stocken geraten seien. In diese Richtung wurde auch die Einlassung der Gesandten interpretiert, dass sich beide Seiten einig seien, dass es in der Vergangenheit viele "Verwicklungen" in den Beziehungen gab und es auch heute noch viele kontroverse Punkte gebe. Auch bemängelten die Gesandten, dass ihnen nicht genug Zeit blieb, ein vollständiges Bild über die Bewahrung der religiösen, kulturellen und sprachlichen Identität in diesen Regionen zu gewinnen und betonten die Wichtigkeit dieses Aspektes.
Beobachter rätseln weiter über die Motive Chinas, die hinter der Fortsetzung dieses Dialoges stehen. Ist China ernsthaft interessiert, die Tibet-Frage vor dem Ableben des jetzigen Dalai Lama zu regeln? Oder ist es ein Hinhalten mit dem Versuch, die Tibet-Frage zu entpolitisieren, indem allein die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen in den Vordergrund gestellt wird?
Staatsbesuch des indischen Präsidenten in China
Anlässlich des Staatsbesuches des indischen Präsidenten Vajpayee in China gab es eine Reihe von Vereinbarungen, die auch Tibet betreffen. Erstmals hat Indien offiziell die "Autonome Region Tibet" als zu China zugehörig anerkannt und sich dazu verpflichtet, "anti-chinesische Aktivitäten" in Indien zu unterbinden. Mit dieser Redewendung sind aus chinesischer Sicht alle Aktivitäten der Tibeter im Exil gemeint. Im Gegenzug stimmte China zu, den Nathu-Pass an der Grenze zu Sikkim für den Handel zu öffnen und anerkannte damit de facto die Annexion Sikkims durch Indien. Die Annexion Sikkims im Jahre 1975 war von China heftig kritisiert worden und stellte ein wichtiges Element in der Kontroverse um den Grenzverlauf zu Indien dar.
Interessant waren auch die Deutungen beider Staaten zu den angekündigten Vereinbarungen. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua feierte die indische Stellungnahme als Anerkennung, dass Tibet ein "integraler Bestandteil" Chinas sei. Indien dementierte sofort und stellte klar, dass man im Grunde nichts Neues gesagt habe und dass sich die Äusserung nur auf die "Autonome Region Tibet" beziehe, man aber nichts über "Tibet" (in seiner historischen Ausdehnung) gesagt habe. Der Dalai Lama bleibe Gast Indiens, und an seinem Status ändere sich nichts. Umgekehrt dementierte China, dass mit der Grenzöffnung offiziell die Zugehörigkeit Sikkims zu Indien anerkannt sei und nannte das Problem ein historisches Erbe, dass nicht über Nacht gelöst werden könne.
Die Tibetische Regierung im Exil begrüsste die Einigungen als ein förderliches Element auch zur Lösung der Tibet-Frage und bezeichnete die Äusserungen zur "Autonomen Region Tibet" und zu "anti-chinesischen Aktivitäten" als "Rhetorik" ohne signifikante praktische Auswirkungen.
Quellen: Tibet Information Network; BBC News
6. Juni 2003
Gewaltsame Deportation von tibetischen Flüchtlingen in Nepal
Erstmals hat Nepal nach einer Intervention der dortigen chinesischen Botschaft 18 tibetische Flüchtlinge, darunter 3 Jugendliche, gewaltsam nach Tibet deportiert. Diese Praxis weicht nicht nur vom bisherigen "Gentlemans Agreement" ab, nach dem Flüchtlinge dem UNHCR zur Weiterreise in das indische Exil überstellt werden, sondern verletzt auch das nepalische Einwanderungsgesetz.
Die Gruppe von ursprünglich 21 tibetischen Flüchtlingen wurde nach Erreichen Nepals am 15. April festgenommen und zunächst im grenznahen Gefängnis in Dilli Bazaar festgesetzt. Sie erhielten Geldstrafen von umgerechnet bis zu Fr. 100 wegen "illegaler Einreise". Das bisherige "Gentlemans Agreement" zwischen den Repräsentanten der Tibetischen Regierung im Exil, dem UNHCR und der nepalischen Einwanderungsbehörde sah vor, dass die Geldstrafen, die die tibetischen Flüchtlinge meist nicht bezahlen können, von privaten Gönnern oder der Regierung im Exil entrichtet werden und die Flüchtlinge dann dem UNHCR in Kathmandu überstellt werden. Dieses organisiert darauf die Weiterreise in das indische Exil.
Als ein Repräsentant der Tibetischen Regierung im Exil am 29. Mai nach Dilli Bazaar kam, um die Strafen zu bezahlen, sah er sich dort mit einem Vertreter der chinesischen Botschaft konfrontiert. Auf dessen Intervention wurde die Auslösung der Gefangenen verhindert, die stattdessen in ein Gefängnis in Kathmandu transferiert wurden. Drei Kinder im Alter von unter 10 Jahren wurden später dem UNHCR übergeben. Am 31. Mai wurden etwa 100 Exil-Tibeter, die sich frühmorgens vor dem Gefängnis versammelt hatten, gewaltsam zurückgedrängt. Kurz darauf wurden die 18 verbliebenen, sich heftig wehrenden Gefangenen, unter ihnen drei Jungendliche im Alter von 13-18 Jahren, in ein wartendes Fahrzeug gezerrt und zum Hauptquartier der Polizei gefahren. Dort wartete ein chinesischer Kleinbus mit verdeckten Kontrollschildern und fuhr Richtung tibetische Grenze davon, eskortiert von einem Fahrzeug mit bewaffneten nepalischen Polizisten und einem chinesischen Botschaftswagen. Augenzeugen, die den Konvoi bis zur Grenze verfolgten, berichteten, dass der Kleinbus die Grenze passierte und kurz darauf nepalische Polizisten mit Fesseln und Handschellen in der Hand den Grenzübergang zur Rückfahr nach Kathmandu überquerten.
Die Aktion, die heftigen internationalen Protest hervorruf, verletzt auch das nepalische Einwanderungsgesetz. Dieses sieht keine Deportation in das Herkunftsland vor, sondern die Freilassung der Gefangenen nach Entrichtung der Geldstrafen. Einige Beobachter spekulieren, dass die Aktion von konservativen chinesischen Kreisen inszeniert wurde, um den gegenwärtigen Besuch der Repräsentanten des Dalai Lama in Beijing zu sabotieren.
Das Foto eines Augenzeugen wurde am 31. Mai vor dem Gefängnis in Kathmandu aufgenommen. Es zeigt, wie sich eine Tibeterin vergeblich vor den Kleinbus wirft, um die Deportation der Flüchtlinge zu verhindern und von nepalischer Polizei weggezerrt wird.[Quelle: IGFM München]
Führungswechsel in Tibet: "Dritte Generation" übernimmt
Ein Führungswechsel bringt Tibeter der "Dritten Generation" in Regierungsämter. Jampa Phuntsog wird neuer Präsident der "Autonomen Region Tibet", und Legchok (der wie viele Tibeter nur einen Namen hat) wird Präsident der Ständigen Ausschusses des Tibetischen Volkskongresses. Sein Vorgänger, Ragdi, übernimmt ein hochrangiges Amt im Chinesischen Volkskongress, verliert aber dadurch seinen unmittelbaren Einfluss auf die tibetische Politik. Die neuen Amtsinhaber vertreten als "Dritte Generation" die Schicht der Technokraten, während die "Zweite Generation" eher aufgrund ideologischer Kriterien zu ihren Ämtern kamen. Diese Änderungen stellen einen Paradigmenwechsel dar, der technische Kompetenz höher bewertet als soziale Herkunft oder ideologische "Linientreue". Von der neuen Amtsinhabern erwarten Beobachter eine Fortsetzung der Politik der wirtschaftlichen Entwicklung Tibets ohne Lockerung der politischen Freiheiten. Auch wurde der bisherige tibetische Parteivorsitzende, Guo Jinlong, durch Yang Chuantang, einen engen Vetrauten des neuen chinesischen Parteivorsitzenden und Staatspräsidenten Hu Jintao abgelöst, der dadurch unmittelbaren Einfluss auf Tibet nimmt. Noch nie war ein Tibeter lokaler Parteivorsitzender.
Quelle: Kate Saunders (Mitarbeiterin des Tibet Information Network); Washington Post; Tibetan Center for Human Rights and Democracy (TCHRD)
16. Mai 2003
Staudamm-Projekte in Ost-Tibet führen zu Umsiedlungen
Im Rahmen des umfassenden Entwicklungsprogramms der "Westlichen Regionen" wird noch in diesem Jahr mit dem Baubeginn für 7 Staudämme in der ost-tibetischen Region Barkham gerechnet. Insgesamt sollen bis zur Fertigstellung im Jahr 2006 etwa 8000 Tibeter von Umsiedlungen betroffen sein. Die ersten 60 Familien, meist wenig wohlhabende Bauern, wurden bereits im Dezember 2001 umgesiedelt. Wie erst jetzt bekannt wurde, drohten ihnen die lokalen Behörden bei Widerstand gegen die Umsiedlung drastische Geldstrafen an. Die versprochene finanzielle Kompensation wurde bis jetzt nicht ausgezahlt. Viele der Familien gerieten in materielle Not und mussten teilweise in das weit entfernte Lhasa übersiedeln, um Arbeit zu finden. Ausserdem würden durch die Dammbauten buddhistische Tempel und andere historische Monumente überflutet.
Die Dammbauten sind Teile des 1999 beschlossenen ambitiösen Entwicklungsprogramms für die "Westlichen Regionen", als dessen Folge grosse Mengen von Wasser als Trinkwasser oder zur Stromerzeugung in die industrialisierten Regionen im Osten Chinas umgeleitet werden sollen.
Massnahmen gegen SARS schwächen tibetische Ökonomie
Die drastischen Präventivmassnahmen gegen die Verbreitung von SARS nach Tibet zeigen Folgen. Wie Reisende berichten, ist der Tourismus in Tibet praktisch zum Erliegen gekommen, da die Grenzen nach Nepal weiter geschlossen sind. Während offizielle Verlautbarungen eine Lockerung der Restriktionen für Mitte Juni erwarten lassen, sprach ein Vertreter der Tibetan Tourism Corporation TTC von einer Abriegelung bis Ende August. Die Touristen, die sich bereits vor Implementierung der Massnahmen in Tibet aufhielten, wurden in den Hotels unter Quarantäne gestellt und mussten dann ausreisen. Chinesen, die aus Furcht vor SARS in ihrer Heimat nach Tibet reisen wollten, wurde die Einreise nach Tibet verweigert. Nur noch wenige Rucksack-Touristen erreichen Tibet, doch ist ihnen die Aufnahme in offizielle Hotels offenbar verweigert. Obwohl die Hotels leerstehen, scheinen die staatlichen Hotels den Mitarbeitern mehrheitlich die Saläre weiter auszuzahlen. Allein die tibetischen Pilger, die sich in der jetzt beginnenden Saison auf den Weg machen, scheinen nicht an Zahl abgenommen haben. Dagegen ist die Zahl der indischen Pilger drastisch zurück gegangen.
Auf den drei Hauptstrassen, die Tibet mit Nepal und den Provinzen Xinghai und Sichuan verbinden, sind nicht weniger als 22 Kontrollpunkte errichtet worden. Hier wird den Reisenden die Temperatur gemessen und ihre Fahrzeuge werden desinfiziert. Die Flugzeuge nach Lhasa sind nur noch spärlich besetzt, und auch auf dem Flughafen wird allen Reisenden mittels einer Infrarot-Kamera die Körpertemperatur bestimmt. Wenn diese Alarm schlägt, werden die Passagiere ausgesondert und nochmals individuell untersucht.
In der Woche vom 1. - 7. Mai kontrollierten sogenannte Anti-SARS-Inspektionsgruppen zahlreiche Spitäler, Gesundheitszentren, Apotheken und Verkehrsknotenpunkte. Die Tatsache, dass die Inspektoren Schutzmasken trugen, führte zu grosser öffentlicher Beunruhigung. Noch ist kein offizieller Fall von SARS in Tibet bekannt, obwohl nach inoffiziellen Angaben 2 Verdachtsfälle in Nord-Tibet gemeldet wurden [vergl. Tibet-Information vom 1. Mai 2003; UM].
Die Massnahmen dürften erhebliche Folgen für die tibetische Ökonomie haben. Da Tibet sehr stark auf den Gütertransport auf dem Landweg angewiesen ist, könnten die Restriktionen bald zur eine Güterknappheit in Tibet führen. Diese könnte möglicherweise bis zum Wintereinbruch nicht mehr kompensiert werden. Auch wurden in der Provinz Sichuan bereits die ersten Reisebegleiter entlassen. Ebenso leiden Reiseveranstalter und Agenturen in Nepal unter der Schliessung der Grenze.
Quelle: Kate Saunders (Mitarbeiterin des Tibet Information Network); BBC News Online; Tibetan Center for Human Rights and Democracy (TCHRD)
1. Mai 2003
Reisebegleiter in Tibet unter Druck
Für die diesjährige Reisesaison wurden 100 Reisebegleiter aus verschiedenen chinesischen Provinzen nach Tibet delegiert, während in den vergangenen Monaten 150 tibetische Reisebegleiter ihre Arbeit verloren haben. Der Grund für den Verlust ihrer Arbeitsplätze waren offenbar intensive Abklärungen ihres "politischen Hintergrundes". Besonders nachteilig wurden vorherige Aufenthalte in Indien gewertet. Nicht wenige tibetische Reisebegleiter hatten sich temporär in Indien aufgehalten oder waren im indischen Exil geboren und konnten dann ihre erworbenen Englisch-Kenntnisse vorteilhaft in bei ihrer Arbeit mit ausländische Touristengruppen in Tibet einsetzen.
Im Sommer letzen Jahres führte das Tibet Tourism Bureau, das angeblich unter starkem Einfluss des Büros für Öffentliche Sicherheit steht, eine intensive Abklärung über die tibetischen Reisebegleiter durch. Unter anderem mussten diese eine offizielle Bestätigung ihrer Heimatbehörde bringen, dass sie niemals illegal ausgereist waren oder sich in Indien aufgehalten hatten. Mehrere der in der Regel gut ausgebildeten tibetischen Reisebegleiter fanden stattdessen eine Anstellung als Fahrer.
Laut einem Bericht der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua wurden die neu eingestellten chineischen Reisebegleiter dazu angehalten, nicht nur die "schönen Berge und Flüsse des Mutterlandes" anzupreisen, sondern den Touristen auch ein "objektives Bild" des "neuen Tibet" zu vermitteln und "spalterischen Tendenzen" entgegen zu treten.
Im letzten Jahr besuchten nach offiziellen Angaben 850'000 Touristen Tibet, ein Anstieg um 25% gegenüber dem Jahr 2001. Von diesen Touristen waren 720'000 Chinesen, 29% mehr als im Vorjahr, und 130'000 Ausländer.
SARS erreicht Tibet
Grenze zu Nepal geschlossen
Aber: Fluglinie Guangzhou (Kanton) - Lhasa eröffnet
Die infektiöse SARS-Krankheit scheint sich innerhalb der verhältnismässig armen Provinzen im Westen Chinas schnell zu verbreiten und hat nach der Inneren Mongolei, Gansu und Sichuan nun auch tibetische Regionen errreicht. Nach verlässlichen Berichten gibt es erste Fälle in den Städten Xining und Golmud im Nordwesten des traditionellen Tibet (nun inkorporiert in die chinesische Provinz Qinghai), wo auch öffentliche Aushänge vor der Krankheit warnen. In Lhasa wurde eine telefonische Hotline für Fragen über SARS eingerichtet. Aufgrund der durchweg schlechten Gesundheitsversorgung in Tibet mit mangelnder Aufklärung, schlechter Hygiene und der Tendenz offizieller Stellen, Probleme zu verbergen, ist eine rasche Ausbreitung zu befürchten. Während China bereits umgerechnet Fr. 1.2 Millionen in einen Notfallfonds zur SARS-Bekämpfung investiert hat, zieht die in New York ansässige Trace Foundation ihre Mitarbeiter aus Tibet zurück, weil sie für deren Gesundheit und allfällige medizinische Versorgung nicht garantieren kann.
Widersprüchlich fallen ansonsten die offiziellen Reaktionen aus. Auf der einen Seite hat China seit 27. April die Grenzen nach Nepal für Touristen bis auf weiteres geschlossen, obwohl bisher in Nepal keine gesicherten SARS-Fälle aufgetreten sind. Auf der anderen Seite hat Southern China Airlines am 30. April Linienflüge zwischen Guangzhou (Kanton) und Lhasa aufgenommen, obwohl die Weltgesundheitsorganisation WHO für Guangzhou und die umliegende Provinz Guangdong bereits seit 2. April eine Reisewarnung herausgegeben hat. Flugrouten haben sich weltweit als einer der Hauptwege für die rasche Verbreitung der Krankheit erwiesen.
Der inzwischen abgesetzte Bürgermeister von Beijing, Meng Xuenong, hat inszwischen zugegeben, dass er Berichte über SARS-Fälle im November während des Parteitages der Kommunistischen Partei unterdrückt hat. Er habe sich lediglich an die Partei-Direktive gehalten, die eine "stabile politische Situation in der Hauptstadt" verlangte.
Quelle: Kate Saunders (Mitarbeiterin des Tibet Information Network)
3. April 2003
Weitere Verhaftungen und Berichte über Misshandlungen in Ost-Tibet
Nach der Hinrichtung von Lobsang Dondrup, einem der beiden zum Tode verurteilten Tibeter in Kandze (vergl. Tibet-Information vom 22. Januar und 10. Februar; UM), mehren sich die Berichte über weitere Verhaftungen und Misshandlungen. Anfang März wurden in der ost-tibetischen Stadt Lithang zwei tibetische Geschäftsleute verhaftet, die dem zu Tode mit Aufschub verurteilten Tenzin Deleg Rinpoche nahe stehen. Einer der beiden Geschäftsleute, dessen Namen mit Tabo angegeben wurde, soll Informationen über das Gerichtsverfahren an ausländische Journalisten weitergegeben haben.
Der andere, mit Namen Didi, ist ein wohlhabender Geschäftsmann und mit Tenzin Deleg Rinpoche verwandt. Er soll an dem Gerichtsverfahren vom 2. Dezember 2002 teilgenommen haben und gilt als Mäzen der zahlreichen von Tenzin Deleg Rinpoche initiierten sozialen und Infrastruktur-Projekte in der Region Lithang. Tenzin Deleg Rinpoche genoss hohes Ansehen für sein Engagement für die Förderung von lokalen Schulen, Klöstern, Waisenhäusern und sogar Verbesserung der Strassenverbindungen.
Insgesamt sollen 10 weitere Personen verhaftet worden sein, von denen 5 wieder freigelassen wurden. Ein Mönch, der eine Petition zur Freilassung von Tenzin Deleg Rinpoche organisiert hatte, wurde 5 Jahren Haft verurteilt. Alle Freigelassenen berichteten von Folter und schweren Misshandlungen in Haft. Zwei Jugendliche seien spurlos verschwunden.
Nonne Ngawang Sangdrol in den USA
Eine der prominentesten politischen Gefangenen, die 26-jährige Nonne Ngawang Sangdrol, durfte China mit Ziel USA verlassen, wo sie jetzt wegen der Folgen der anhaltenden physischen Misshandlungen medizinisch behandelt wird. Sie war bereits im Oktober 2002 aus der Haft entlassen worden und stand seitdem in Lhasa de facto unter Hausarrest (vergl. Tibet-Information vom 21. Oktober 2002; UM). Die Freilassung und schliesslich die Ausreise in die USA wurden vor dem Hintergrund langjähriger Bemühungen der Tibet-Unterstützer, Politiker und Parlamentarier aus verschiedenen Ländern schliesslich durch monatelange Verhandlungen der in San Francisco ansässigen Dui Hua Foundation mit der chinesischen Regierung möglich. Die Dui Hua Foundation hatte bereits in der Vergangenheit erfolgreich in Fällen von politischen Gefangenen vermittelt.
Ngawang Sangdrol war bereits als 10-jährige bei Strassendemonstrationen in Lhasa aktiv und wurde im Alter von 13 Jahre erstmals verhaftet. Wegen ihrer Standhaftigkeit und Unnachgiebigkeit war sie das Opfer besonders schwerer Misshandlungen, und ihre Haftstrafen wurden mehrfach verlängert. Grosse Bekanntheit im Ausland erlangte Ngawang Sangdrol, als es ihr mit einigen Mitgefangenen gelang, ein Tonband mit Liedern aufzunehmen und aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Regulär wäre sie nach insgesamt 21 Jahren in Haft erst im November 2011 entlassen worden. Im Oktober 2002 wurde sie wegen Anzeichen von "Besserung" aus der Haft entlassen, stand aber de facto unter Hausarrest. Während sie bei ihrer Schwester in Lhasa wohnte, wurde sie dauernd durch Sicherheitskräfte observiert und musste sich regelmässig im Drapchi-Gefängnis melden. Die Behörden liessen sie bis zum letzten Moment, bevor sie das Flugzeug in die USA bestieg, über ihr Schicksal im Unklaren. Direkt vor dem Abflug musste sie eine Erklärung unterzeichnen, dass sie nicht an "anti-chinesischen Aktivitäten" teilnehmen würde.
Quellen: Human Rights Watch; Radio Free Asia
10. Februar 2003
Nach der Exekution von Lobsang Dhondup:
Angehörige müssen schweigen
Am 22. Januar wurde der 23-jährige Tibeter Lobsang Dhondup unmittelbar nach nichtöffentlicher Rekursverhandlung wegen angeblicher Verwicklung in Bombenattentate im ost-tibetischen Kandze hingerichtet [vergl. Tibet-Information vom 22. Januar; UM]. Die zunächst für den 10. Januar terminierte Rekursverhandlung war ohne Angabe von Gründen verschoben worden und fand - im Gegensatz zur ersten Verhandlung - wegen angeblicher "Staatsgeheimnisse" unter Ausschluss der Oeffentlichkeit statt.
Die Angehörigen erfuhren von der Exekution erst 5 Tage danach durch öffentliche Aushänge. Der Leichnam des Exekutierten wurde nicht den Angehörigen übergeben, was eine Abweichung von früherer Praxis darstellt. Angehörige klagten gegenüber Radio Free Asia, dass ihnen unter Androhung von Strafe verboten wurde, sich gegenüber anderen über die Exekution zu äussern. Auch dürfen sie ihre Heimatdörfer nicht verlassen. Der andere zum Tode mit 2 Jahren Aufschub verurteilte Tenzin Deleg Rinpoche wurde unterdessen an einen unbekannten Ort gebracht.
Die Hinrichtung hatte weltweit heftige Proteste ausgelöst.
Geheimgespräche über die Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet?
Wie die Zeitung The Guardian erfahren haben will, sollen im März Geheimgespräche über eine mögliche Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet aufgenommen werden. Dazu soll demnächst eine grosse Delegation von Exil-Tibetern nach Beijing reisen. Gegenstand der Gespräche sollen die genauen Umstände sein, unter denen eine Reise des Dalai Lama nach Lhasa und seine permanente Rückkehr möglich würden.
Die Tibeter im Exil scheinen darauf zu hoffen, dass der designierte neue Parteivorsitzende Hu Jintao, der sein Amt im März antritt, auf eine konstruktive Lösung drängt. Ein Sprecher der Tibetischen Regierung im Exil nahm nicht zu Details Stellung. Er sagte lediglich, dass es der Wunsch des Dalai Lama sei, "eher früher als später" und unter "Bedingungen, die die Mehrheit der Tibeter zufriedenstellen", nach Tibet zurückzukehren.
Der Inhalt dieser Meldung wurde allerdings bisher von keiner anderen Quelle bestätigt.
Quellen: Radio Free Asia; The Guardian
22. Januar 2003
Weitere Verhaftungen und Rekurs gegen Todesurteile
Die beiden wegen angeblicher Verwicklung in Bombenattentate in Ost-Tibet zum Tode verurteilten Tibeter [vergl. Tibet-Information vom 6. Dezember 2002; UM] haben gegen die Urteile Rekurs eingelegt. Lobsang Dhondrup war zum Tode, und der sehr angesehene religiöse Lehrer Tenzin Delek Rinpoche zum Tode mit zweijähriger "Bewährungsfrist" verurteilt worden. Der Status der Rekursverhandlung, die am 10. Janaur beginnen sollte, ist unklar. Regierungsstellen weigerten sich, Fragen der Presse zum aktuellen Status zu beantworten. Die Urteile hatten zahlreiche internationale Proteste ausgelöst.
Es ist derzeit unklar, ob die Rekursverhandlung tatsächlich am 10. Januar begonnen hat oder verschoben wurde. Fest steht, dass zwei prominente chinesische Anwälte angeboten haben, die Verurteilten zu verteidigen, was jedoch abgelehnt wurde.
In einem aus der Haft geschmuggelten Tonband versichert Tenzin Delek Rinpoche, dass er unschuldig sei. Unterdessen wurde bekannt, dass noch weitere 10 Personen verhaftet wurden. Einer von ihnen wurde zu 5 Jahren Haft verurteilt. ICT wirft China vor, dass alle Verhafteten gefoltert wurden.
Wende in der Tibet-Politik:
Taiwan lädt Dalai Lama zu einem Besuch ein
Der Präsident von Taiwan, Chen Shui Bian, hat den Dalai Lama zu seinem dritten Besuch nach 1997 und 2001 auf die Insel eingeladen. Er betonte, dass Taiwan die Tibeter nicht mehr als "Festlands-Chinesen" betrachte. Gleichzeitig wurde die auf Kabinettsebene angesiedelte "Kommision für Tibetische und Mongolische Angelegenheiten" aufgelöst. An ihre Stelle tritt nun eine "Stiftung für Tibetisch-taiwanesischen Austausch". Damit distanziert sich Taiwan implizit davon, Tibet und die Mongolei offiziell als Teile von China anzusehen.
Nepal bricht "Gentlemen's Agreement" über Tibet-Flüchtlinge
In Nepal häufen sich die Verhaftungen von Flüchtlingen aus Tibet. In wenigen Wochen sind bereits wenigstens 13 Flüchtlinge wegen "illegaler Einreise" zu Haftstrafen verurteilt worden. Auch werden unter gleichen Vorwürfen oft Tibeter verhaftet, die sich im Transit von Indien auf dem Wege zurück nach Tibet befinden. Die Haftstrafen betragen mehrere Jahre, und teilweise werden Tibeter auch festgehalten, weil sie die hohen Geldstrafen - bis zu umgerechnet Fr. 4'000 - nicht bezahlen können.
Damit bricht Nepal ein aus den 90er Jahren stammendes "Gentlemen's Agreement" mit der Tibetischen Regierung im Exil und der UNHCR. Bisher wurden Tibeter, die nach ihrer Flucht aus Tibet aufgegriffen wurden, an die UNHCR in Kathmandu überstellt. Von dort wurde mit stillschweigender Zustimmung der Regierung von Nepal deren Weitertransport in das indische Exil organisiert.
Quellen: International Campaign for Tibet (ICT); BBC News; AFP; Tibet Justice Center
6. Dezember 2002
Wieder religiöse Unterweisungen im Larung-Gar-Institut
Am 4. November gab der zurückgekehrte Abt des Serthar-Instituts, Khenpo Jigme Phuntsok, seine erste religiöse Unterweisung seit der weitgehenden Zerstörung im Herbst letzten Jahres. Daran nahmen - unter strenger Aufsicht durch Sicherheitskräfte - über 5'000 Personen teil. Das in der Nähe der ost-tibetischen Stadt Serthar gelegene Institut zeichnet sich dadurch aus, dass es keiner spezifischen religiösen Schule des tibetischen Buddhismus angehört und allen buddhistischen Studierenden offenstand. Seit Juni 2001 wurden in der grössten Zerstörungsaktion in Tibet seit der Kulturrevolution über 3'000 Unterkünfte für Studierende dem Erdboden gleich gemacht und mehr als 61000 Studierende, zumeist Nonnen, ausgewiesen. Der Abt stand de facto unter Hausarrest, befand sich zwischenzeitlich aber auch in medizinischer Behandlung [vergl. auch Tibet-Informationen vom 30. August und 15. Oktober 2001; UM]. Offizielle Stellen waren vor allem durch die grosse Zahl chinesischer Buddhisten - es sollen bis zu l'000 gewesen sein - alarmiert und ordneten daher die Zerstörung der Unterkünfte und die Ausweisungen an. Letztere betrafen auffällig häufig Nonnen, da offenbar spekuliert wurde, diese würden eher wieder ihre Heimatorte aufsuchen anstatt nach Indien zu fliehen. Larung Gar wird derzeit von ca. 20 Sicherheitskräften beaufsichtigt, die dort permanent residieren und vor allem darauf achten, dass die genehmigte Zahl von Studierenden - etwa l'400 Mönche und Nonnen, gegenüber 8'000 vor der Zerstörung - nicht überschritten wird und keine neuen Unterkünfte gebaut werden. Der Zugang für externe Besucher ist streng kontrolliert. Für sie ist der Aufenthalt in Larung Gar auf 2 Stunden limitiert, und es dürfen keine Kameras mitgenommen werden.
Zwei Tibeter zum Tod verurteilt - Aufruf zur Hilfe
Wegen angeblicher Verwicklung in Bombenanschläge sind zwei Tibeter, darunter ein hoch angesehener buddhistischer Lehrer, zum Tode verurteilt worden. Die Bombenanschläge, die ein Todesopfer forderten, ereigneten sich im Frühjahr dieses Jahres in der ost-tibetischen Region Karze, die heute in die chinesische Provinz Sichuan integriert ist, und in der Provinzhauptstadt Chengdu. Dem einen Tibeter, dessen Name mit Lobsang Dhondup angegeben wird, droht nach Ablauf der Rekursfrist am 12. Dezember die sofortige Exekution. Die Vollstreckung des Todesurteils gegen den buddhistischen Lehrer Tenzin Delek Rinpoche wurde auf 2 Jahre ausgesetzt und könnte danach in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt werden. Tenzin Deleg Rinpoche ist einer der höchst angesehenen buddhistischen Lehrer in Ost-Tibet. Mehrere prominente Lehrer in Ost-Tibet waren wegen ihres Ansehens und Einflusses unter der Bevölkerung in der vergangenen Zeit das Ziel von chinesischen Anschuldigungen und Zwangsmassnahmen. Die Tibetische Regierung im Exil rief ausländische Politiker und Organisationen zur sofortigen Intervention für die Verurteilten auf.
Quellen: International Campaign for Tibet; Associated Press
9. November 2002
Mongolei-Besuch des Dalai Lama lässt Kupferpreise steigen
Der Dalai Lama ist am 6. November zu seinem mehrfach verschobenen Besuch in der Mongolei eingetroffen und wurde dort trotz winterlicher Temperaturen und nächtlicher Uhrzeit von einer grossen Menschenmenge am Flughfen empfangen.
Zuvor hatte ihm die russische Regierung ein Transitvisum verweigert, und die südkoreanische Fluggesellschaft Asiana wollte ihm vorgeblich aus "Sicherheitsgründen" kein Ticket ausstellen. Da Indien keine direkten Flugverbindungen nach Ulan Bator unterhält, war der Dalai Lama auf den Transit durch ein Drittland angewiesen. Der Flug erfolgte schlussendlich via Tokyo.
Die verärgerte chinesische Regierung, die vorher vergeblich gegen den Besuch in der Mongolei protestiert hatte, schloss darauf für einen Tag die Grenzen für den Eisenbahnverkehr. Dieses brachte vorübergehend den Kupferexport des Landes zum Erliegen, worauf der Weltmarktpreis für Kupfer auf ein 16-Wochen-Höchst stieg. Kupfer ist das wichtigste Exportgut der Mongolei und macht 50% aller Exporte aus. Auch wurden etwa 500 Eisenbahn-Passagiere an der Grenze aufgehalten. Ein Sprecher des chinesischen Ausseministeriums erklärte lediglich, "einige Züge" seien aus "technische Gründen" angehalten worden.
Unterdessen überstieg der Andrang an die öffentlichen Veranstaltungen alle Erwartungen. Ein Vortrag wurde von über 5000 Personen besucht, die zum Teil mehrere hundert Kilometer Weg zurückgelegt hatten. Sicherheitskräfte mussten protestierende Besucher zurückdrängen, die keinen Einlass mehr fanden und dem auf Lautsprechern übertragenen Vortrag draussen im Schneetreiben folgten.
Mitglieder der mongolischen Regierung wollten den Dalai Lama nicht treffen.
Mönche wegen Organisation von Gebetszeremonien verhaftet
Eine Serie von Gebetszeremonien im Februar d.J. in der ost-tibetischen Stadt Kandze hat im Oktober zu einem Militäreinsatz mit der Festnahme von fünf Mönchen geführt. Diesen wird vorgeworfen, dass sie in die Organisation von Langlebenszeremonien für den Dalai Lama involviert waren. Diese Zeremonien waren in aller Oeffentlichkeit unter Beteiligung von bis zu 500 Mönchen abgehalten worden, nachdem bekannt geworden war, dass der Dalai Lama in Indien wegen einer Darminfektion hospitalisiert werden musste. Während der Zeremonien wurden auch mehrfach unter Missachtung des offiziellen Verbots Fotos des Dalai Lama öffentlich ausgestellt.
Die sich über mehrere Tage und Nächte hinziehende Razzia in Kandze mit dem Einsatz von ca. 400 Soldaten ereignete sich nur einen Monat nach der Tibet-Reise der Gesandten des Dalai Lama. Die ost-tibetische Region um Kandze wurde nach der Invasion der chinesischen Provinz Sichuan angegliedert und gilt als eine der Hochburgen der tibetischen Dissidenten. Schon seit 1999, als ein hoch angesehener Mönch wegen Kontakten zum Dalai Lama verhaftet wurde, ereigneten sich mehrere Protestaktionen mit dem Verteilen von Flugblättern und Hissen der - verbotenen - tibetischen Nationalflagge.
Quellen: Associated Press; International Campaign for Tibet
21. Oktober 2002:
Nonne Ngawang Sangdrol vorzeitig aus der Haft entlassen
Eine der prominentesten politischen Gefangenen in Tibet, die Nonne Ngawang Sangdrol, ist vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Die Freilassung "wegen guten Betragens" erfolgte unmittelbar vor Beginn des US-Staatsbesuches von Präsident Jiang Zemin.
Die heute erst 25 Jahre alte Ngawang Sangdrol war 1990 als 13-jährige nach einer Demonstration in Lhasa erstmals verhaftet worden, jedoch wurde angesichts ihres Alters von einer Bestrafung abgesehen. Nach einer zweiten Demonstration im Alter von 15 Jahren wurde sie zu einer Haftstrafe von 3 Jahren verurteilt. Ihre Strafen wurden danach immer wieder wegen ihrer Unbeugsamkeit im Gefängnis verlängert, so dass ihre reguläre Entlassung erst im Mai 2013 erfolgt wäre. Anlässe zur Haftverlängerung waren so geringe Anlässe wie ihre Weigerung, sich bei einem Besuch eines Offiziellen zu erheben oder dem Rufen von "Freiheit für Tibet". Ngawang Sangdrol erlangte grosse Bekanntheit im Ausland, als es ihr mit einigen Mitgefangenen gelang, heimlich im Gefängnis ein Tonband mit Liedern aufzunehmen und nach aussen zu schmuggeln. Vier andere Mitgefangene, die daran beteiligt waren, waren bereits früher in diesem Jahr vorzeitig freigelassen worden.
Ngawang Sangdrol war wegen ihrer angeblichen Beteiligung am Gefangenenaufstand im Drapchi-Gefängnis im Mai 1998 schwerstens misshandelt worden. Nachdem sie nun wegen "guten Betragens" freigelassen und ihrer Familie übergeben wurde, fordern Tibet-Unterstützer, dass sie wegen ihrer seitdem angegriffenen Gesundheit sofort angemessene medizinische Betreuung erhält.
Beobachter beurteilen die Freilassung noch immer kontrovers. Während einige darin Zeichen einer fundamental geänderten chinesischen Tibet-Politik erkennen, glauben andere, die jüngsten Freilassungen von mehreren Dissidenten (vergl. Tibet-Informationen vom 29. Januar und 8 April 2002; UM) sollten nur dazu dienen, Chinas Präsident Jiang Zemin einen ungestörten US-Besuch zu gestatten.
Quellen: Associated Press
7. Oktober 2002:
Hacker-Attacken auf Dissidenten und Tibet-Unterstützer
Seit April verzeichnen verschiedene Organisationen eine stark zunehmenden Flut von Internet-Attacken aus China. Betroffen sind nicht nur die Tibetische Regierung im Exil, sondern auch der Radiosender Voice of America, die Falun Gong Organisation und Unterstützergruppen für Ost-Turkestan. Die Menge und Art der Attacken tragen nach Meinung von Computerspezialisten eindeutig eine professionelle Handschrift. In manchen Fällen liessen sich die Urheber der Attacken eindeutig in Regionalbüros von China Telecom zurückverfolgen. Die betroffenen Organisationen sind identisch mit denjenigen, deren Internet-Adressen vor kurzem von China für das Suchprogramm Google gesperrt worden waren. Die Attacken ereignen sich in Form von hunderten von e-mails mit falscher Adressenangabe, manchmal sogar mit der von der Tibetischen Regierung im Exil. Diese e-mails werden sowohl an die genannten Organisationen als auch an prominente Individuen im Ausland gesandt, welche offenbar in China als Dissidenten identifiziert sind. Die Attacke besteht in sogenannten "Trojanischen Pferden", also Programmen, welche den Computer der Betroffenen nach bestimmten Datein ausspähen und diese dann an Adressen innerhalb Chinas senden. Ein Mitarbeiter der Tibetischen Regierung im Exil fand ein solches Programm in seinem Computer, welches gerade im Begriff war, Dateien an sechs verschiedene Adresse in China zu schicken, darunter Universitäten und Regierungsstellen. Eine andere Form der Attacke besteht aus Programmen, welche den Absendern die Kontrolle des betroffenen Computers via Internet ermöglichen. Ein Mitarbeiter einer Organisation für Ost-Turkestan verzeichnete seit April durchschnittlich 3-4 Attacken pro Woche.
Gesandte des Dalai Lama mit positiven Eindrücken aus China und Tibet zurück
Die Gesandten des Dalai Lama, die vom 9. bis 27. September Bejing und Lhasa besucht hatten, kehrten nach eigenen Angaben mit positiven Eindrücken zurück. Sie sagten, dass sie im Dialog mit ihren Partnern Zeichen von "Flexibilität, Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit" entdeckt hätten, während solche Gespräche in der Vergangenheit regelmässig mit einem Affront geendet hätten. Sie gaben der Hoffnung Ausdruck, dass in der Zukunft weitere Besuche möglich seien und sich ein regelmässiger Dialog entwickeln könne. Als möglicher Termin für spätere, formelle Verhandlungen wurde der Juli nächsten Jahres angegeben. Einschränkend sagten die Gesandten aber auch, dass die chinesische Führung bisher keine Aenderung ihrer Haltung gegenüber Tibet habe erkennen lassen und sich die Gespräche auf einen Austausch der gegenseitigen Positionen beschränkten. Von besonderer Bedeutung ist aber die Tatsache, dass die Gesandten auch einen Repräsentanten der Provinz Sichuan trafen, da sich China bisher kategorisch geweigert hatte, die in Sichuan inkorporierten Teile des historischen Tibet anzusprechen. In offiziellen Mitteilungen war die chinesische Führung darauf bedacht, vor allem den Besuch der Gesandten in Tibet herunter zu spielen. So gab ein Sprecher des Aussenministeriums auf Anfrage an, es sei "normal", wenn "im Ausland lebende Mitbürger" einmal ihre Heimat besuchen und sich über die neuen Lebensumstände informieren wollten. Der Besuch in Lhasa blieb in den offiziellen Medien unerwähnt. Als die Gesandten den Jokhang-Tempel in Lhasa besuchten, wurden sie nur in den frühen Morgenstunden eingelassen, und ausser drei Mönchen zur Begrüssung wurden sie von weiteren Kontakten abgeschirmt. Den übrigen Mönchen im Jokhang war es untersagt, ihre Quartiere zu verlassen.
Die Tibetische Regierung im Exil hat unterdessen als Zeichen des guten Willens alle Organisationen dazu aufgerufen, auf Proteste während des US Besuches von Präsident Jiang Zemin im Oktober zu verzichten. Dieser Aufruf sowie die Signifikanz des China-Besuches der Gesandten wird auch in tibetischen Exilkreisen sehr kontrovers kommentiert. Kritiker halten den Besuch lediglich für ein Ablenkungsmanöver der chinesischen Führung, um Jiang Zemin einen ungestörten US-Besuch und würdigen Abtritt als Staatspräsident zu verschaffen.
Quellen:
South China Morning Post; Tibet Information Network; Radio Free Asia