Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft
zusammengestellt von Dr. Uwe Meya
21. Dezember 2010
Umsiedlung von 6000 Nomaden in „Shangri-La“
Laut staatlichen chinesischen Medien wurden im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms etwa 6000 Viehhirten aus 1300 Nomadenfamilien im ost-tibetischen Kreis Gyalthang (heute der chinesischen Provinz Yunnan einverleibt) in festen Behausungen angesiedelt. Der Kreis Gyalthang, chinesisch ursprünglich Zhongdian genannt, wurde im Jahr 2001 neu nach dem fiktiven Land Shangri-la aus dem Roman von James Hilton „Lost Horizon“ umbenannt, um Touristen anzuziehen.
Im Jahr 2006 lancierte die chinesische Regierung ein Fünfjahres-Ansiedlungsprojekt, das darauf abzielte, Bauern und nomadische Viehhirten aus den tibetischen Nomadengebieten in „festen Ziegelsteinhäusern“ ansässig zu machen. Sobald diese Häuser fertig seien, hätten 80 Prozent der Bauern und Viehhirten der Region Ende 2010 eine feste Behausung. China bezeichnet das Projekt als „Programm für komfortables Wohnen“. Von 2009 bis 2010 waren im Kreis „Shangri-La“ 2135 Häuser errichtet worden, berichtete Chinas Tibet-Online-Nachrichtendienst.
Menschenrechtsgruppen und Umweltschützer kritisieren die Umsiedlungen, die nicht nur dort in grossem Stil vorangetrieben werden. Die tibetischen Nomaden müssen ihre traditionelle Lebensweise aufgeben, was viele in die Verzweiflung treibt. Sie sind nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt in einer Weise zu verdienen, die nicht ihrer Tradition und Erfahrung entspricht. Ausserdem bedeutet die Umsiedlung in fest gebaute Häuser nach dem Bericht von Human Rights Watch von 2007 für die zumeist nomadischen Hirten oftmals die Schlachtung ihrer Tiere sowie anschliessende Arbeitslosigkeit, weil ihnen die für andere Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse fehlen. Durch die Umsiedlung werden die Armut und der Niedergang von Familien verschärft. Die Überweidung durch Vieh, das nun in engen, eingezäunten Gehegen gehalten wird, könnte auch zu Bodenerosion führen.
Chinas weiter gestecktes Ziel der vor über 10 Jahren begonnenen Umsiedlungen ist offenbar eine Neugestaltung Tibets, um eine noch stärkere politische Kontrolle über die Bevölkerung ausüben zu können. Alleine von 2006–2007 siedelte die chinesische Regierung etwa 250‘000 tibetische Bauern und Hirten aus ihren verstreuten Weilern in die neuen „sozialistischen Dörfer“ um, was etwa einem Zehntel der Bevölkerung entspricht. Unabhängigen Berichten zufolge wurden sie gezwungen, die neuen Häuser grossenteils auf eigene Kosten zu bauen, ohne dass sie jemals nach ihrer Zustimmung gefragt worden wären [vergl. Tibet-Informationen vom 10. Mai 2007 und 19. August 2008; UM]
Mehr über Tibet von WikiLeaks
AFP; OneIndia News und The Guardian publizierten weitere Dokumente von WikiLeaks, die aus der US-Botschaft in Indien stammen und einige interessante Aspekte beinhalten.
Geld für Flüchtlinge: In einem Dokument vom Februar d.J. zitiert ein Botschaftsangestellter einen nicht genannten Informanten, dass China den Grenzwachen in Nepal Geld dafür bezahlen, wenn sie tibetische Flüchtlinge aufgreifen und nach Tibet zurück deportieren, anstatt sie gemäss der informellen Übereinkunft dem UN-Flüchtlingswerk in Kathmandu zur Weiterreise nach Indien überstellen.
„Dalai Lama ist ein Verräter“: Im chinesischen Politbüro seien laut einem Memorandum durchaus Debatten und Abstimmungen über kontroverse Fragen möglich - ausser wenn es um Tibet geht. Präsident Hu Jintao beanspruche hier, alle Entscheidungen allein zu treffen. Den Dalai Lama nenne er einen „Verräter“. Wer einen moderateren Standpunkt einnehme, riskiere seine politische Karriere.
Klimaveränderungen wichtiger als die Politik: Im August soll der Dalai Lama dem US-Botschafter in Indien gesagt haben, die internationale Gemeinschaft solle sich für die nächsten 5 bis 10 Jahre auf die Folgen der Klimaveränderungen in Tibet fokussieren. Diese seien momentan wichtiger; politische Fragen könnten bis dahin warten.
Quellen: Phayul (adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München); AFP; OneIndia News; The Guardian
14. Dezember 2010
WikiLeaks-Dokumente über Tibet
WikiLeaks hat nach Angaben seines Gründers, Julian Assange, seit 2006 auch chinesische Hacker eingesetzt, um an vertrauliche Dokumente über chinesische Spionageaktivitäten zu gelangen. Diese Erkenntnisse seien dann den ausspionierten Organisationen, so auch tibetischen Vereinigungen, zugänglich gemacht worden. Während des tibetischen Aufstandes im Frühjahr 2008 stellte WikiLeaks Fotos und Videos der Unruhen ins Netz, die von der chinesischen Regierung zensuriert wurden.
Die vertraulichen Dokumente, die von WikiLeaks kürzlich publiziert wurden, enthalten auch einige Informationen darüber, wie China Druck auf westliche Regierungen ausübte, um Besuche des Dalai Lama zu verhindern, aber auch, wie Australien zu einem Autonomieabkommen drängte.
Am 30. April meldete die US-Botschaft in Beijing, der chinesische Vize-Aussenminister He Yafei dränge die US-Regierung, dem Dalai Lama kein Einreisevisum zu gewähren. Wenn er schon einreisen dürfe, dann solle weder Präsident Obama noch ein anderes Regierungsmitglied mit ihm zusammentreffen. Kurz darauf, im Mai 2009, wurde die britische Regierung in gleicher Weise gedrängt, dem Dalai Lama kein Visum zu gewähren. Ausserdem meldete die Botschaft, ein britischer Konsul sei in Gansu für kurze Zeit verhaftet worden, weil seine Reisetätigkeit den dortigen Behörden missfiel.
Noch massiver drohte China anlässlich der bevorstehenden Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Paris an den Dalai Lama im Juni 2009. Ein französischer Botschaftsangehöriger informierte die Regierung, dass Beijing überlege, die Städtepartnerschaft mit Paris zu beenden.
Im März 2009 hat Dokumenten zufolge der damalige Premierminister von Australien, Kevin Rudd, die chinesische Regierung dazu gedrängt, ein Autonomieabkommen mit dem Dalai Lama abzuschliessen. In einer Mitteilung an US-Aussenministerin Hilary Clinton bat er sie, ihre Autorität gegenüber China zu nutzen, um die chinesische Regierung in einer „verschwiegenen Unterredung“ weiter in diese Richtung zu drängen. „Im schlimmsten Falle“ solle der Westen noch stärkeren Druck gegenüber China ausüben.
Dass China von der internationalen Unterstützung für Tibet durchaus beeindruckt ist, zeigt eine Meldung des US-Botschafters in Kasachstan. Sein chinesischer Amtskollege habe ihm in einer Unterredung anvertraut, das Gesuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nanci Pelosi, die eine bekannte Tibet-Unterstützerin ist, für eine Tibet-Reise habe die Regierung in Beijing „zu Tode geängstigt“. [PS: Nanci Pelosi erhielt keine Einreiserlaubnis nach Tibet. UM]
Tibeter müssen neuem Staudammprojekt weichen
Etwa 4000 Tibeter müssen wegen eines Staudamms, der für ein neues Wasserkraftwerk errichtet wird, umgesiedelt werden. Dieses geschieht nicht freiwillig, und die Betroffenen dürfen zugesagte Entschädigungen nicht frei verwenden.
Im Bezirk Lhundup, nördlich von Lhasa, haben nach Informationen von Asia News die Bauarbeiten mit dem Aufstauen von drei Flüssen bereits begonnen. Auch seien Behausungen im Bau, die chinesische Soldaten beherbergen sollen, die am Dammbau beteiligt sein werden.
Von Umsiedlungen sind insgesamt fünf Dörfer betroffen. Den meist im Ackerbau tätigen Bewohnern wurde mitgeteilt, dass die Umsiedlungen von jetzt bis September 2011 erfolgen und dass sie nicht nochmals ihre Felder bestellen sollten. Etwa 500 Familien hätten sich geweigert, ihr Dorf zu verlassen. Sie seien dann zwangsweise in eine neu errichtete Siedlung transferiert worden, einige auch nach Lhasa, wo sie ihr Vieh verkaufen mussten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Zwar wurde ihnen eine Entschädigung von Yuan 10‘000 (etwa Fr. 1‘500) zugesagt, doch konnten sie diese nicht frei verwenden, sondern mussten damit ihr neues Haus bezahlen.
Quellen: Tibet Post Europe; Asia News
7. Dezember 2010
Festnahmen und verschärfte Kontrollen nach Schüler-Protestaktion
Nach einer weiteren kleinen Demonstration von Schülern im nordost-tibetischen Machu (heutige chinesische Provinz Gansu) haben die Behörden die Kontrolle in der Stadt verschärft. Zwei oder drei Schüler seien nach Informanten von Phayul am 14. November in Richtung des Gebäudes der Bezirksverwaltung gezogen. Sie hätten ein weisses Banner vor sich getragen und Parolen für die Unabhängigkeit Tibets gerufen. Sie waren noch weniger als einen Kilometer marschiert, als drei Polizeifahrzeuge auffuhren und die Jugendlichen, deren Identität nicht bekannt ist, abführten.
Daraufhin sei die Zahl der Sicherheitskräfte in Machu erhöht worden, und an den Strassenkreuzungen seien Militärfahrzeuge aufgefahren. Eine Hotelangestellte, die aus Indien per Telefon kontaktiert wurde, bestätigte, dass „Polizisten durch die Strassen patrouillieren“, wollte aber aus Angst nicht mehr Details beschreiben.
Die Schule, aus der die festgenommenen Demonstranten mutmasslich stammten, würde bis in die Klassenzimmer hinein überwacht. Die zwei Rektoren und zwei weitere Lehrer seien versetzt worden. Eltern wurden zu Treffen mit Regierungsvertretern zur Diskussion der Vorkommnisse zitiert.
Lagerstätten von Mineralien für über 100 Mrd. Dollar in Tibet entdeckt
Die Times of India zitiert offizielle chinesische Angaben, nach denen Geologen in Tibet Lagerstätten von Mineralien entdeckt hätten, deren Gesamtwert auf über 100 Mrd. US-Dollar geschätzt wird. Insgesamt seien 3000 Lagerstätten mit 102 verschiedenen Mineralien identifiziert worden. Besonders die Vorkommen an Chrom und Kupfer seien sehr gross, viel grösser als im Rest von China. Auch die Vorkommen von 12 anderen Mineralien überträfen diejenigen im restlichen Territorium von China. Times of India nennt eine ganze Reihe von chinesischen Firmen, die schon die bisher bekannten Vorkommen ausbeuten und hebt die Vorteile der neuen Verkehrs-Infrakstruktur hervor. Durch die Bahnlinie, neue Flugverbindungen und den Ausbau der Strassen könnten die Bodenschätze nur viel einfacher abtransportiert werden.
China und Nepal unterzeichnen Abkommen zur Kontrolle der tibetischen Flüchtlinge
Das 13-Punkte Abkommen, das am 5. Dezember von Regierungsvertretern aus China und Nepal unterzeichnet wurde, soll den Grenzübertritt von tibetischen Flüchtlingen verhindern sowie die Visavergabe und die Aktionen der Flüchtlinge in Nepal stark beschränken. Im Gegenzug erleichtert China die Einreise von nepalesischen Arbeitskräften in die tibetische Grenzregion.
Ausserdem verlangte China von Nepal, die Überwachung der gemeinsamen Grenze mit weiteren 10‘000 Grenzwächtern zu verstärken und bot an, in Kathmandu eine spezielle Polizeitruppe zur Niederschlagung von Unruhen auszubilden.
Quellen: Phayul; Times of India; Asia News
24. November 2010
Besorgnis zum Baubeginn des Brahmaputra-Wasserkraftwerks
Am 16. November hat China offiziell mit dem Bau des Brahmaputra-Wasserkraftwerks begonnen. Dazu wurde im Yarlung Tsangpo-Fluss, der in Indien und Bangladesh Brahmaputra genannt wird und dort in den Indischen Ozean mündet, ein Damm errichtet. Innerhalb und ausserhalb Chinas wurden Sorgen über die ökologischen Folgen des Bauvorhabens geäussert.
Das Wasserkraftwerk im Mittellauf des Yarlung Tsangpo in der Präfektur Lhoka, 325 km von Lhasa entfernt, wird im Fünfjahresplan für Tibet als eines der wichtigsten Einzelprojekte hervorgehoben. Mit einer Kapazität von 510 Megawatt bei geschätzten Baukosten von umgerechnet 1.2 Milliarden US-Dollar soll es den chronischen Elektrizitätsengpass in Zentraltibet beheben und ab 2014 Strom liefern.
Die indische Regierung hat bereits Bedenken über eine mögliche Wasserverknappung und andere ökologische Folgen angemeldet. China versicherte zwar, dass das Kraftwerk allein das natürliche Höhengefälle ausnütze und wenig Folgen stromabwärts zeigen werde, doch wurde von indischen Medien hervorgehoben, dass das Bauwerk auch zur Regulierung des Wasserstandes eingesetzt werden könne.
Selbst in China erheben sich kritische Stimmen. He Xingdou, Professor an der Universität für Wissenschaft und Technologie in Beijing zweifelte laut RFA, ob wirklich eine gründliche und unvoreingenommene Einschätzung der ökologischen Risiken vorgenommen wurde. „Diejenigen, die dieses gerade untersuchen, haben selbst ein Interesse an der Realisierung des Projekts. Entweder das, oder sie sind unter vielfältigem politischem Druck, ihren Vorgesetzten zuzustimmen. Oft nehmen sie solange keine Einschätzung vor, bis die politische Führung schon beschlossen hat, mit dem Projekt voranzugehen, so dass das Resultat immer eine befürwortende Einschätzung ist... Es muss ihnen [der Regierung; UM] wirklich klar sein, was sie hier machen. Es muss klare und anwendbare Richtlinien für den Umweltschutz geben.“
Tritt der Dalai Lama von seinem politischen Amt zurück?
Der Dalai Lama denkt über seinen Rücktritt als Staatsoberhaupt gemäss der tibetischen Verfassung im Exil nach. Davon unberührt bleiben jedoch seine religiöse Rolle und sein weiteres Engagement für eine gewaltlose Lösung des Status von Tibet.
In Gesprächen mit Medienvertretern deutete der Dalai Lama an, dass er sich möglicherweise innerhalb der nächsten 6 Monate zum Rücktritt entscheiden werde. Allerding wolle er vorher noch intensive Konsultationen mit der Tibetischen Regierung und dem Parlament im Exil durchführen und dann das Thema seines Rückzug anlässlich der nächsten Session des Exilparlaments im März 2011 vorbringen.
Als Gründe nannte er einerseits, dass die Tibeter schon seit 2001 einen Premierminister in direkter Wahl bestimmen und die politischen Entscheidungen mehr und mehr von diesem und dem Kabinett bestimmt werden, und andererseits, dass er seine Arbeitsbelastung reduzieren wolle.
Gegenüber der Economic Times sagte der Dalai Lama: „Die wichtigsten Entscheidungen sind in der Hand der politischen Führung. Damit sich die Demokratie voll entfalten kann, denke ich, ich sollte in diese Angelegenheiten nicht mehr involviert sein.“
Er wolle aber weiter seine religiöse Rolle ausfüllen und der Anführer des tibetischen Volkes im Freiheitskampf sein. Er deutete auch an, dass – falls es die Tibeter wünschten – im Falle seines Todes „eine Art Stellvertreter des Dalai Lama“ bestimmt werden könnte, der sein Werk fortsetzt.
Auch Mönche protestieren für tibetische Muttersprache
Unabhängig von den Schülerprotesten demonstrierten auch Mönche für Gleichheit und Freiheit für alle Sprachen. Am 8. November versuchten über 700 Mönche und Nonnen, die meisten vom Kloster von Sershul in der ost-tibetischen Autonomen Provinz Kardze (chin. Ganzi), zu dem Verwaltungssitz des Bezirks zu marschieren. Sicherheitskräfte versperrten ihnen jedoch den Weg. Bereits am 7. November hätten 50 Mönche und Nonnen demonstriert und verlangt, dass China die Muttersprache der Tibeter respektiere. Und noch früher hätten um die 300 Mönche und Nonnen demonstriert.
Der Vorfall sei durch ein Verbot der Behörden für eine Aktion des Klosters ausgelöst worden. Dieses sammelte freiwillige Geldspenden von Personen, die „Drak-kay“, eine unsaubere Sprache gesprochen haben, d.h. die ihr Tibetisch mit chinesischen Wörtern, Ausdrücken und Sätzen gemischt haben.
Quellen: Press Trust of India; Radio Free Asia (RFA); Economic Times; AFP; Tibet Post International (modifiziert aus einer Meldung von IGFM München)
10. November 2010
„Dalai Lama-Effekt“ senkt Exporte nach China um mehr als 8 Prozent
Treffen von Staats- und Regierungschefs mit dem Dalai Lama haben einen negativen Effekt auf die Handelsbeziehungen zwischen dem jeweiligen Land und China. Das ist das Ergebnis einer Studie der Göttinger Volkswirte Andreas Fuchs und Nils-Hendrik Klann. Die beiden Forscher an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen haben in einer Studie die Reaktionen Chinas auf offizielle Empfänge des Dalai Lama ausgewertet. Dabei fanden sie heraus, dass jeder offizielle Empfang des Dalai Lama die Exporte des jeweiligen Landes nach China um durchschnittlich 8,1 Prozent reduziert. Dieser negative Einfluss des sogenannten „Dalai Lama-Effekts“ schwindet etwa zwei Jahre nach dem Treffen wieder, was die Wissenschaftler auf eine Erholung der diplomatischen Beziehungen zurückführen.
„Die chinesische Regierung droht ihren Handelspartnern regelmässig mit einer Verschlechterung der bilateralen Handelsbeziehungen, sollten diese das religiöse Oberhaupt der Tibeter empfangen“, so die Autoren der Studie. Als Reaktion auf ein Treffen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy mit dem Dalai Lama wurde Frankreich 2009 als Reiseziel zweier chinesischer Handelsdelegationen gestrichen. Auch vor dem Besuch des Dalai Lama 2007 bei Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde in der Öffentlichkeit diskutiert, ob dieser Empfang die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen belasten würde.
Um den Einfluss politischer Ereignisse auf Chinas Handelsbeziehungen zu erfassen, haben die Göttinger Forscher zunächst eine detaillierte Datenbank zu den Auslandsreisen des Dalai Lama aufgebaut. In ihrer Studie untersuchten sie Exporte nach China aus 159 Ländern im Zeitraum von 1991 bis 2008. Mit statistischen Methoden analysierten Andreas Fuchs und Nils-Hendrik Klann anschliessend, ob China auf die Treffen mit einer messbaren Verringerung des bilateralen Handelsvolumens mit denjenigen Ländern reagierte, die den Dalai Lama empfangen hatten. Ihre Ergebnisse bestätigen einen negativen Effekt auf Exporte nach China. Dieser „Dalai Lama-Effekt“ lässt sich allerdings nur für die Ära des chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao nachweisen, der 2002 die Führung der Kommunistischen Partei Chinas übernommen hat, und nicht für frühere Zeiträume. Dies erklären die Wissenschaftler mit dem wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Chinas in den vergangenen Jahren. Zudem fanden die Göttinger Volkswirte heraus, dass Treffen des Dalai Lama mit Politikern von geringerer Bedeutung wie Ministern, Parlamentspräsidenten oder Oppositionsführern keinen negativen Einfluss auf die Handelsbeziehungen haben.
Dieselbe Untersuchung haben die Wissenschaftler auch für verschiedene Produktgruppen durchgeführt. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass sich der „Dalai Lama-Effekt“ hauptsächlich negativ auf die Exporte von Maschinen und Transportmitteln nach China auswirkt und der Effekt für andere Produktgruppen weniger eindeutig nachweisbar ist. Die Arbeit der Göttinger Forscher unterstreicht die Bedeutung, die gute politische Beziehungen für den Handel mit China spielen. „Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass chinesische Handelsbeziehungen nicht frei sind von politischen Einflüssen. Die chinesische Regierung setzt ihre Handelsbeziehungen offenbar gezielt als Instrument der Aussenpolitik ein, um ihre politischen Ziele durchzusetzen“, so Nils-Hendrik Klann. „Staats- und Regierungschefs müssen also damit rechnen, dass Empfänge des Dalai Lama zu einer Verschlechterung der Handelsbeziehungen führen könnten.“ Aber: „Politiker müssen nicht auf Treffen mit dem religiösen Oberhaupt der Tibeter verzichten, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu wahren“, betont Andreas Fuchs. Aus Sicht der beiden Forscher könnten international abgestimmte Treffen von Staats- und Regierungschefs mit dem Dalai Lama eine Alternative sein. „Eine solche Strategie könnte verhindern, dass China seine Handelspartner gegeneinander ausspielen kann“, so die Göttinger Wissenschaftler.
Eine Weltkarte mit einer graphischen Darstellung der Länder, die den Dalai Lama in den vergangenen Jahren empfangen haben, ist unter http://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?cid=3703 zu finden.
Quellen: Informationsdienst Wissenschaft (leicht gekürzte Fassung; UM)
29. Oktober 2010
Schüler- und Studentenproteste auch in Gansu und Xinjiang
Die breiten Proteste gegen die Abschaffung der tibetischen Sprache im Schulunterricht [vergl. Tibet-Informationen vom 21., 22. und 25. Oktober 2010; UM] breiten sich in andere ethnisch tibetische Regionen und auch in die muslimische Provinz Xinjiang (vormals Ost-Turkestan) aus.
Laut Phayul demonstrierten am 26. und 27. Oktober erstmals auch in den nordwest-tibetischen Regionen in der heutigen Provinz Gansu „mehrere tausend“ Schülerinnen und Schüler. Ob es zu Gewalt oder Verhaftungen kam, ist nicht bekannt.
Noch bedrohlicher für die Zentralregierung in Beijing dürfte die Tatsache sein, dass sich auch uigurische Schüler, Studenten und Lehrer in der heutigen Provinz Xinjiang mit den Protesten in Tibet solidarisieren.
Radio Free Asia zitiert mehrere Universitätsstudenten und Lehrer, die von einer Welle der Solidarisierung mit den Tibetern berichten. Obwohl die Regierung inzwischen den Gebrauch des Internet stark eingeschränkt hat, hätten sich die Nachrichten über die Proteste in Tibet schnell verbreitet. In der Provinz Xinjiang wird schon länger als in Tibet der Gebrauch der chinesischen Sprache forciert, so dass bereits viele Lehrer, die nicht ausreichend Chinesisch sprechen, ihre Arbeit verloren haben.
Nahezu alle Schüler und Eltern sollen in den letzten Tagen von den Behörden in Xinjiang ermahnt worden sein, sich nicht an Protesten zu beteiligen.
Auch an der Minzu-Universität in Beijing, wo in der letzten Woche tibetische Studenten protestierten, gab es eine starke Bewegung unter den uigurischen Studenten, sich den Protesten anzuschliessen. Der dort lehrende Professor Ilham Tohti sagte gegenüber Radio Free Asia : „Einige Studenten kamen in mein Büro und sagten, sie wollten sich den Protesten der Tibeter anschliessen, aber ich entgegnete ihnen, dass wir sie auch ohne öffentlichen Protest unterstützen können... Wenn wir protestieren, wird es Probleme geben.... Ich bin mir hundert Prozent sicher, dass ohne eine Änderung der Politik in Xinjiang die Uiguren genauso protestieren werden [wie die Tibeter; UM], und das könnte zu einem weiteren 5. Juli [erinnernd an den Tag der blutigen Unruhen in Xinjiang im Jahr 2009; UM] führen.“ Professor Tohti gab an, dass er seit Beginn der Proteste unter ständiger Beobachtung durch Sicherheitspersonal stehe.
Verhaftungen und eine Petition in Tibet
Nach Informationen von ICT sind etwa 20 Demonstranten, die am 22. Oktober in einer Schule in Qinghai demonstrierten, verhaftet worden. Augenzeugen hätten berichtet, dass sie möglicherweise im Schulgebäude festgehalten würden, während Sicherheitskräfte Verhöre durchführten, um die Beteiligten zu identifizieren.
ICT liegt auch eine Petition vor, die von über 300 Personen, sowohl Lehrern als auch Schülern und Studenten, unterzeichnet wurde. Diese Petition wurde schon etwa eine Woche vor Beginn der offenen Proteste während einer Versammlung in Qinghai verfasst. ICT hat diese Petition, die in sehr massvollem Ton gehalten ist, in voller Länge ins Englische übersetzt und unter http://www.savetibet.org/media-center/ict-news-reports/tibetan-teachers-write-petition-support-tibetan-language-fears-students-after-detentions verfügbar gemacht.
Die Verfasser anerkennen ausdrücklich, dass das Lernen der chinesischen Sprache „essentiell“ sei, fordern aber, dass die Hauptsprache in den Schulen Tibetisch bleiben solle. Eine bilinguale Erziehung könne nur erfolgreich sein, wenn die zweite Sprache – also Chinesisch – schrittweise eingeführt würde.
Quellen: Phayul; Radio Free Asia (RFA); International Campaign for Tibet (ICT)
25. Oktober 2010
Schüler- und Studentenproteste erreichen die chinesische Hauptstadt
Die breiten Proteste gegen die Abschaffung der tibetischen Sprache im Schulunterricht [vergl. Tibet-Informationen vom 21. und 22. Oktober 2010; UM] erreichten nun auch Beijing. Etwa 400 tibetische Studenten an der Minzu-Universität – vormaliger Name „Zentraluniversität der Nationalitäten“ - in der chinesischen Hauptstadt protestierten am 22. Oktober friedlich auf dem Campus gegen die angekündigten Massnahmen in ihrer Heimat. Bilder der Protestaktionen in Tibet wurden auf den in China populären Internet-Netzwerkseiten wie RenRen und MyBudala herumgereicht.
Unterdessen wurden die Sicherheitsmassnahmen in den tibetischen Regionen, in denen es zu den ersten Protesten kam, verschärft. Augenzeugen berichteten RFA, dass in Rebkong etwa 20 bis 30 Armeefahrzeuge aufgefahren sind und Soldaten in den Strassen Präsenz zeigen.
Offizielle Stellen leugneten die Proteste entweder gänzlich, andere verwiesen zur Auskunft auf vorgesetzte Behörden, wiederum andere Individuen bestätigten die Proteste, nannten aber viel geringere Zahlen von Demonstranten. Der Direktor des Erziehungsdepartements der Provinz Qinghai, Wang Yubo, versuchte die Wogen zu glätten. Laut der regierungsoffiziellen Nachrichtenagentur Xinhua sagte er, dass Änderungen nicht erzwungen würden, wenn „die Bedingunge nicht reif“ seien.
In der Provinz Qinghai traf die geplante Abschaffung der tibetischen Sprache auf eine ohnehin gespannt Situation. Seit 2008 wurden dort etwa 200 Schulen in 60 Internate konsolidiert. Obwohl die Dörfer meist eigene Primarschulen hatten, müssen die Kinder nun schon im Alter ab 4 oder 5 Jahren in den Internaten in den Städten lernen. Sie dürfen diese nur einmal im Monat verlassen; eine Massnahme, die ein Anwohner als „Einsperrung“ bezeichnet.
Die Wucht der Proteste überrascht in einer Zeit, in der die Tibeter ohnehin stärkste Repressionen erdulden müssen und beweist, wie stark das Sentiment gegen die Diskriminierung und Marginalisierung der Tibeter ist. Wer das Tibetische – eine der vier ältesten Sprachen Asiens – beseitigen will, triff die tibetische Identität, Kultur und Religion ins Mark.
Verhaftungen nach Protesten gegen Bergbau
Nach einer Meldung von RFA unterdrückten die chinesischen Behörden Protestaktionen gegen den Abbau von Bodenschätzen an einem heiligen Berg, sperrten Protestierende ein und warnten die dortige Bevölkerung vor weiteren Demonstrationen.
Im September haben Tibeter in der Präfektur Nagchu, nördlich von Lhasa in der sogenannten „Autonomen Region Tibet“, versucht, chinesische Arbeiter am Bau eines Staudamms am Oberlauf des Salween zu hindern. Der geplante Damm liegt in der Nähe des für die Tibeter heiligen Berges Lhachen Naglha Dzambha. Gerüchten zufolge sollen dort Goldvorkommen entdeckt worden seien, so dass die Tibeter befürchten, der Dammbau stehe mit einer geplanten Goldmine in Verbindung.
Laut einer anonymen Quelle wurden mehrere Tibeter, die gegen den Bau protestierten, verhaftet und misshandelt. Auch drei Tibeter, die nicht direkt an den Protesten beteiligt waren, aber eine Petition einreichten, wurden verhaftet und 2 Tage später gegen eine Geldzahlung von umgerechnet etwa US$ 7‘500 freigelassen. Beamte der lokalen Behörden zwangen die Bewohner in den betroffenen Dörfern unter massiven Drohungen, sich mit ihrem Daumenabdruck auf einer Erklärung zu verpflichten, nicht weiter zu protestieren.
Von RFA kontaktierte Behörden stritten ab, dass es zu Protestaktionen gekommen sei.
Quellen: High Peaks Pure Earth; Radio Free Asia (RFA); Wales Online
22. Oktober 2010
Proteste gegen chinesische Unterrichtssprache in Tibet weiten sich aus
Die massiven gegen die Bildungspolitik der Regierung gerichteten Protestaktionen vom 19. Oktober in Rebkong haben sich auf andere tibetische Siedlungsgebiete der Provinz Qinghai ausgeweitet. Etwa 2000 tibetische Schüler gingen am 20. Oktober aus Protest gegen einen Regierungsbeschluss, dass Tibetisch von nun an durch Chinesisch als Unterrichtssprache ersetzt wird, in Tsegorthang in der Autonomen Präfektur Tsolho (chin. Hainan) auf die Strasse.
RFA zufolge beteiligten sich an den Demonstrationen insgesamt 8000 Schüler und Studenten in diversen Städten der Tibetisch-Autonomen Präfektur Tsolho. „Nur die Studenten und Schüler demonstrierten, sonst niemand aus der Bevölkerung. Alle marschierten friedlich und in Reih und Glied“, teilte eine Kontaktperson RFA mit.
Die Demonstranten wandten sich gegen die Verordnung, dass Fächer wie Mathematik, Geschichte, Geographie, Wirtschaft und Naturwissenschaften von nun an auf Chinesisch zu unterrichten seien, teilte ein in Australien lebender Tibeter dem Radiosender Voice of Tibet mit. Die Protestaktion dauerte etwa eine halbe Stunde. Die Studenten der tibetischen Medizinschule, und des Lehrerausbildungsinstituts von Tsolho riefen zuerst auf ihrem Schulgelände Parolen und marschierten danach mit Bannern und Plakaten durch die Strassen von Tsegorthang.Die Studenten des Lehrerausbildungsinstituts von Tsolho wurden nach dem Protest in der Schule eingeschlossen und bekamen den ganzen Tag nichts mehr zu essen. Über einen Gewalteinsatz auf der Strasse wurde noch nichts bekannt.
Etwa 4000 Schüler der tibetischsprachigen Mittelschule und der Berufsschule schlossen sich der Protestaktion an. Und dann kamen noch über 2000 Schüler der tibetischen Mittelschule von Tsekhog (chin. Zeku) hinzu, um die Forderungen nach der Beachtung des Rechts auf ihre eigene Sprache zu unterstützen.
Tibetisch würde von nun an als eine freiwillige Sprache betrachtet und ab 2015 als eine „gewöhnliche“ Sprache behandelt werden, teilte eine andere Person mit. Gyawo, der Gouverneur von Tsekhog, sprach zu den aufgebrachten Studenten und versuchte sie zu beruhigen. Er sagte, „dass in den offiziellen Dokumenten, Chinesisch als die Hauptunterrichtssprache genannt werde, aber dass nirgends die Rede davon sei, dass Tibetisch nicht verwendet werden könne“, berichtete ein dortiger Bewohner.
Auch in der Gemeinde Tawo, Autonome Präfektur Golog, protestierten am 21. Oktober frühmorgens die Schüler der tibetischen Mittelschule gegen die geplanten Bildungsreformen. Um 14 Uhr traf dann die bewaffnete Polizei ein, welche die Bewohner der Stadt daran hinderte, auf die Strasse zu gehen.
In der Gemeinde Gedun Choepe im Bezirk Rebkong protestierten Schüler einer Mittelschule am gleichen Tag in ihrer Schule, weil ihnen verboten wurde, das Gelände zu verlassen.
In vielen anderen tibetischen Gebieten, darunter auch in der Autonomen Region Tibet, wurde der Unterricht bereits auf Chinesisch umgestellt.
Dort, wo es jetzt zu den Schülerprotesten kam, wurden bisher noch alle Fächer auf Tibetisch unterrichtet.
Quellen: Radio Free Asia (RFA), Phayul; Voice of Tibet in adaptierter deutscher Übersetzung durch IGFM München
21. Oktober 2010
China verschärft erneut Kontrolle über Klöster
Ab 1. November ist es Klöstern in Tibet verboten, Beziehungen zu Klöstern im Ausland zu unterhalten. Die Verwaltungsbehörde für Religiöse Angelegenheiten der chinesischen Regierung veröffentlichte einen entsprechenden Erlass, der verhindern soll, dass der Dalai Lama oder „andere in- und ausländische separatistische Kräfte“ Einfluss auf die tibetischen Klöster nehmen.
Nach der Flucht ins Exil und den darauffolgenden Verwüstungen während der Kulturrevolution wurden gerade im indischen Exil, aber auch in anderen Ländern, tibetische Klöster neu gegründet, die nicht selten Beziehungen zu ihren Partner-Klöstern in Tibet pflegten. Diese werden nun unterbunden.
„Separatistische Kräfte“seien darauf aus, „die nationale Einheit zu untergraben und die Nation zu spalten“. Dieses Problem habe „die natürliche Ordnung des tibetischen Buddhismus beeinflusst und der Dalai Clique die Gelegenheit gegeben, Verwirrung in Tibet zu erzeugen und destruktive separatistische Aktivitäten anzustiften“. Der Erlass solle die „natürliche Ordnung des tibetischen Buddhismus aufrechterhalten und eine harmonische sozialistische Gesellschaft aufbauen.“
Schüler protestieren gegen die Abschaffung von Tibetisch als Unterrichtssprache
Laut einem Augenzeugenbericht protestierten tibetische Schüler und Studenten – nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 1’00 und 7‘000 - in der Stadt Rebkong in der westchinesischen Provinz Qinghai (ehemals tibetisches Amdo) gegen eine Umstellung der Unterrichtssprache von Tibetisch auf Chinesisch, wie RFA meldete. Die Schüler, die aus 6 verschiedenen Schulen zusammenkamen, trugen Banner, auf denen auf Tibetisch und Chinesisch „Gleichheit unter den Nationalitäten“ sowie „Mehr Verwendung der tibetischen Sprache“ stand.
Mönche eines nahen Klosters schlossen sich sehr bald dem Protestmarsch an, obwohl die Schüler sie anfänglich aus Angst vor einem Polizeieinsatz gebeten hatten, sich fernzuhalten, sagte ein Mönch.
Die Protestaktionen begannen am Morgen in der Mittelschule für nationale Minderheiten von Tongren und hielten bis 14 Uhr an, als etwa 20-30 Polizeifahrzeuge ankamen und die Demonstranten umstellten, fügte die Quelle hinzu. Es habe noch keine Festnahmen gegeben.
Einem anderen Augenzeugen zufolge seien Vertreter der Präfekturregierung gekommen, hätten zur Wahrung von Ruhe und Ordnung aufgerufen und zugesichert, dass die Beschwerden von entsprechenden Regierungsstellen behandelt würden. Anrufe von RFA bei dem zuständigen Public Security Bureau waren erfolglos, dort war nur ein Anrufbeantworter zu hören.
Die Umstellung der Sprache der Schulbücher von Tibetisch auf Chinesisch sei ohne Begründung und Diskussion auf einer Sitzung der Bildungsbehörde der Provinz Qinghai durch den kommunistischen Parteisekretär befohlen worden. Viele tibetische Lehrer befürchten aufgrund der Umstellung den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Entlassungen aus dem gleichen Anlass wurden schon aus einem anderen Bezirk in der chinesischen Provinz Gansu gemeldet.
Ein Video von RFA, das den Protestmarsch zeigt, gibt es bei YouTube: http://www.youtube.com/watch?v=Cy6Cso_KzfM, eine Bilderserie des Protestmarsches unter: http://www.tibettimes.net/news.php?showfooter=1&id=3512.
Die Proteste weisen erneut auf einen hohen Grad an Sensibilisierung und Protestbereitschaft unter Jugendlichen hin [vergl. Tibet-Information vom 4. Juni 2010; UM]. Die Huffington Post erwähnt in einem Artikel auch eine neue Graffitti-Bewegung, in der Jugendliche in Tibet ihren Protest gegen die Dominanz der chinesischen Sprache äussern, indem sie nämlich chinesische Aufschriften auf Geschäften mit tibetischen Schriftzügen übersprühen.
Quellen: Deutsche Presseagentur; Tibetan Review; Radio Free Asia (RFA) in adaptierter deutscher Übersetzung durch IGFM München; Huffington Post
27. September 2010
Weiterer tibetischer Intellektueller verhaftet
Im Juli wurde Kalsang Tsultrim im osttibetischen Bezirk Dzoge, in der heutigen chinesischen Provinz Sichuan, verhaftet. Kalsang Tsultrim, bekannt unter seinem Pseudonym Gyitsang Takmig, war Mönch in einem Kloster der Autonomen Präfektur Kanlho im Nordosten Tibets. Er hatte ein Jahr vor seiner Festnahme, im Juli 2009, ein etwa einstündiges Video aufgezeichnet, das über die Grenze ins Ausland geschmuggelt werden konnte und auch in Tibet selbst in einer Auflage von angeblich 2‘500 Exemplaren verteilt wurde.
Das Video, das (in tibetischer Sprache) unter http://www.tibetonline.tv/videos/71/appeal-about-the-plight-of-tibetans zu sehen ist, appelliert an die internationale Gemeinschaft, möglichst umgehend zugunsten der Tibeter zu intervenieren und drückt den Wunsch nach einer baldigen Rückkehr des Dalai Lama aus. Auch enthält das Video einen detaillierten Abriss der tibetischen Geschichte seit der Flucht des Dalai Lama. Laut Kalsang Tsultrim sollte das Video vor allem die „Ungebildeten und die breite tibetische Öffentlichkeit“ erreichen und aufrütteln, und der „täglichen Dosis an Regierungspropaganda“ etwas entgegensetzen.
Kalsang Tsultrim hatte sich über das letzte Jahr an stets wechselnden Orten aufgehalten, um seiner Verhaftung zu entgehen. Fragen seiner Angehörigen über den Grund der Verhaftung bei den Behörden blieben unbeantwortet.
Baubeginn - Eisenbahnlinie wird verlängert
Die Eisenbahnlinie aus China nach Lhasa, die 2007 fertiggestellt wurde und für grosse Kontroversen sorgte, wird nun bis in die zweitgrösste Stadt Tibets, Shigatse, verlängert.
Am 26. September meldete die offizielle chinesische Nachrichtenagentur Xinhua den Baubeginn der Strecke nach Shigatse. Diese soll in 4 Jahren fertig sein und umgerechnet nahezu 2 Milliarden US-$ kosten. Die Transportkapazität für Fracht wird mit 8.3 Millionen Tonnen pro Jahr beziffert.
Bedenken an der Eisenbahnlinie beziehen sich auf mehrere Folgeeffekte: den verstärkten Zustrom chinesischer Siedler, die Beschleunigung des Abbaus von Bodenschätzen und ihr Abtransport in die boomenden Küstenregionen, die ökologischen Folgen und die Anfälligkeit des Trassees angesichts der Klimaänderungen, da ein grosser Teil auf Permafrostboden verläuft, der nun aufzutauen droht.
Der chinesische Eisenbahnminister Liu Zhijun erklärte laut Xinhua: „[Die Linie] wird eine zentrale Rolle in der Ankurbelung des Tourismus und der rationellen Nutzung der Ressourcen spielen.“
Quellen: Phayul; The Malaysian
25. August 2010
Drei Tote bei Protest gegen Goldmine
Am 18. August wurden 3 Demonstranten bei einer Protestaktion gegen eine Goldmine im osttibetischen Bezirk Palyul getötet. Darüber hinaus wurden 30 Tibeter verletzt, als die Polizei nach Angaben von Augenzeugen wahllos das Feuer auf die Demonstranten eröffnete.
Der Vorsteher eines Dorfes hatte in einer Petition die Behörden aufgefordert, den Betrieb einer lokalen Goldmine einzustellen, da diese die Umwelt zu stark belaste. Ungefähr 100 Dorfbewohner hätten vor dem Regierungsgebäude campiert, um der Forderung Nachdruck zu verleihen. In der Nacht auf den 18. August hätten Sicherheitskräfte versucht, die Demonstranten durch den Einsatz von Gas bewusstlos zu machen. Als die Tibeter versuchten, den Abtransport einiger bereits bewusstloser Mitstreiter durch die Sicherheitskräfte zu verhindern, sei es zu einem Gerangel gekommen, das den Einsatz der Schusswaffen auslöste.
Einige der Tibeter seien verhaftet worden. Über den Verbleib der Verhafteten und einiger anderer Verletzter ist derzeit nichts bekannt.
Chinas Angst vor neuen Unruhen in Tibet
In Tibet wurden Mitte August gleich zwei bedeutende Konferenzen abgehalten, die Chinas Angst vor weiteren Unruhen belegen und Massnahmen zu verstärkter Kontrolle der Klöster und des öffentlichen Lebens beschlossen.
Die „United Front“, eine Unter-Organisation der Kommunistischen Partei, die sich mit gesellschaftlichen Gruppen ausserhalb von Staat und Partei befasst und unter anderem auch den Dialog mit den Gesandten des Dalai Lama organisiert, beschloss auf einer zweitägigen Konferenz eine verstärkte Kontrolle der Klöster in Tibet. Die Vorstände sämtlicher Klöster mussten an dieser Konferenz teilnehmen. Der Fokus lag darauf, die sogenannte „demokratische Verwaltung“ der Klöster zu intensivieren und Mönche und Nonnen besser zu selektionieren. Nur „politisch zuverlässige, hochgelehrte und respektierte“ Personen sollten durch „demokratische Konsultation“ für leitende Aufgaben in Klöstern ausgewählt werden.
Die zweite Konferenz versammelte Vertreter sämtlicher Niederlassungen des „Büros für Öffentliche Sicherheit“ in Tibet. Bemerkenswert war, dass nicht nur Vertreter aus der „Autonomen Region Tibet“ (TAR) teilnahmen, sondern auch aus den anderen ethnisch tibetischen Regionen ausserhalb der TAR. Die Konferenz identifizierte nach eigenen Verlautbarungen „gegenwärtige Herausforderungen“ für die Aufrechterhaltung der Stabilität. Unter anderem wurde die strenge Pflicht zur Registrierung von Reisenden in Lhasa – gleichgültig ob Pilger, Geschäftsmann, oder Tourist – einer Untersuchung unterzogen. Ein Aktionsplan addressiert „ die Verstärkung des Kampfes gegen Separatisten, den Schutz der sozialen Sicherheit, den verstärkten Schutz der Grenzen, die Verbesserung der Kommunikations-Infrastruktur und der Fähigkeiten der Büros für Öffentliche Sicherheit“.
Verstärkte Überwachung der öffentlichen Computer in Tibet
Nach den Fotokopiergeräten [vergl.Tibet-Information vom 4. Juni 2010; UM] kommt nun nochmals die Kontrolle über Computer an die Reihe. Sämtliche Computer für den öffentlichen Gebrauch in der Autonomen Region Tibet müssen bis Ende August eine neue Überwachungs-Software installiert haben. Das sogenannte „System des richtigen Namens“ erfordert, dass jede Person ihren Personalausweis vorweisen muss, ehe sie einen öffentlichen Computer bedienen darf. In Kombination mit der neuen obligatorischen Software können die Behörden nun das Aufrufen aller Inhalte, die als politisch verdächtig gelten, zurückverfolgen und den Namen des Internetsünders ermitteln.
Quellen: Asia News; Phayul; TibetPostInternational (adaptiert nach Übersetzung durch IGFM München)
13. August 2010
China verschärft Kampagne gegen tibetische Elite
Weitere Informationen zeigen, mit welcher Härte China neuerdings gegen tibetische Intellektuelle und Geschäftsleute vorgeht, die noch vor kurzem von Staat und Partei als Rollenmodelle eines modernen Tibet gelobt wurden. Nach der Verurteilung des Antiquitätensammlers und Philantropen Karma Samdrup [vergl. Tibet-Information vom 15. und 24. Juni 2010; UM] droht jetzt dem Dichter und Verleger Tra Gyal (bekannter unter seinem Künstlernamen Shogdung, auch Zhogs Dung geschrieben) der Prozess mit einer hohen Haftstrafe. Darüber hinaus wurde der als reichster Mann Tibets angesehene Hotelinhaber Dorje Tashi zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
Berühmter Dichter als „Spalter des Mutterlandes“
Tra Gyal wurde am 23. April verhaftet [vergl. Tibet-Information vom 30. April 2010; UM], unmittelbar nachdem er sein neuestes Buch „Die Linie zwischen Himmel und Erde“ veröffentlicht hatte. Dieses Buch stellt die wohl radikalste Abrechnung mit der chinesischen Herrschaft in Tibet seit der berühmten „70‘000-Zeichen-Petition“ des damaligen Panchen Lama im Jahre 1962 dar, für die dieser jahrelang in Gefangenschaft war.
Das Buch beschreibt Tibet als „Ort des Terrors“ und schliesst mit dem Aufruf an tibetische Intellektuelle und Kader, nicht weiter mit China zu kooperieren und zivilen Ungehorsam zu erwägen. Die ersten 1000 Exemplare und zahlreiche weitere Raubdrucke waren schnell vergriffen. Die Sicherheitsbehörden griffen erst relativ spät ein, konfiszierten Bücher und Manuskripte und schlossen seinen populären Verlag „1+1“. Die Verhaftung zögerte sich deswegen hinaus, weil das Büro für Öffentliche Sicherheit einen Monat benötigte, um das Werk ins Chinesische zu übersetzen.
Seitdem nimmt Tra Gyal einen Heldenstatus unter den Tibetern ein. Sein Prozess zögert sich hinaus, wobei unklar ist, ob noch nach mehr belastendem Material gegen ihn gesucht wird, oder ob die Anklage angesichts seiner grossen Popularität abgemildert wird. Tra Gyal galt lange Zeit als der kommunistischen Partei nahestehend, doch nun schreibt er in seinem Buch: „Ich habe über vier grosse Befürchtungen geschrieben; der Furcht, der Grausamkeit des Regimes ausgeliefert zu sein; der Furcht, dass Regierung und Individuen in extremen Nationalismus verfallen; der Furcht um mein eigenes Leben und Wohlbefinden; und der Furcht vor der Zukunft. Jetzt kommt eine weiter Furcht hinzu...dass ich, wenn mein Essay bekannt wird, die kalten und heissen Höllen der Welt erdulden muss... aber das ist der Weg, für den ich mich entschieden habe.“
Tra Gyal durfte während der Haft weder Besuche seiner Familie empfangen noch zusätzliche Essensrationen oder Medikamente zur Behandlung seiner Nierensteine und Magenerkrankung erhalten.
„Adler über dem schneebedeckten Hochplataeu“ erhält lebenslängliche Haftstrafe
Dorje Tashi, der mutmasslich reichste Mann Tibets, Besitzer des populären Yak-Hotels in Lhasa, wurde wegen unbekannter Vergehen zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Der 37-jährige Geschäftsmann war bereits kurz nach den März-Unruhen vor 2 Jahren verhaftet und seitdem an einem unbekannten Ort gefangen gehalten worden. Das Gerichtsurteil erging am 26. Juni d.J. unter grosser Geheimhaltung, was auf den Vorwurf politischer Vergehen hindeutet. Auch konfiszierte das Gericht sein gesamtes Vermögen von umgerechnet 700 Millionen (!) Franken. Anfangs waren Korruptionsvorwürfe vermutet worden, doch Gerüchten zufolge soll er Geldspenden an den Dalai Lama geschickt haben. Die Geheimhaltung dürfte aus Furcht vor Unruhen verhängt worden sein, zumal Dorje Tashi einer der prominentesten Tibeter ist. Ein Gerichtssprecher, der von Associate Press um Kommentierung des Urteils gebeten wurde, verweigerte die Auskunft mit dem Hinweis, dass das Gericht derzeit Ferien habe.
Dorje Tashi gehörte seit seinem Beitritt zur Kommunistischen Partei im Jahre 2003 eigentlich zum politischen Establishment. Er war sowohl Staatspräsident Hu Jintao als auch Ministerpräsident Wen Jiabao begegnet und war Mitglied eines prominenten Beratungsgremiums der Regierung, der Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes. Die Presse hatte ihn als einen der „Zehn herausragendsten Tibeter“ nominiert. Seine Firma wurde in den Medien dafür gelobt, dass sie die Sicherheitskräfte während des Aufstandes vor 2 Jahren logistisch unterstützt hatte und alle 800 Angestellten eine Erklärung unterzeichnen liess, in der sie sich zur „Einheit des Mutterlandes“ und zum „Widerstand gegen ethnischen Separatismus“ bekennen.
Noch kürzlich pries wurde Dorje Tashi in einem Bericht in der staatlich kontrollierten Presse mit schwülstigen Worten gepriesen: „Er ist wie ein Adler über dem schneebedeckten Hochplateau, der die Shenhu-Gruppe [die Firma von Dorje Tashe; UM] dazu anführt, im Himmel der Geschichte zu schweben.“
Die Hintergründe
Tibetkenner verweisen darauf, dass nunmehr 31 prominente Tibeter in Haft sind. Alle galten bisher als Angehörige der politischen und gesellschaftlichen Elite und unterstützten entweder parteioffizielle Ansichten oder waren gänzlich unpolitisch. Sie engagierten sich als Dichter, Verleger, Geschäftsleute, Antiquitätensammler und förderten nicht selten gemeinnützige Projekte.
Eine Zeitlang schien der Partei und der Regierung eine solche Schicht von Tibetern ganz willkommen zu sein, um eine gewisse Balance zu korrupten oder unfähigen lokalen Kadern zu bilden. Die drastischen Massnahmen gegen Tashi Dorje, Tra Gyal oder auch den prominenten Antiquitätensammler und Philantropen Karma Samdrup sind ein deutliches Warnsignal, dass die kleinen Nischen der Freiheit, die sich diese Tibeter erschaffen konnten, nicht mehr geduldet werden. Professor Barnett von der Columbia University sieht ungeachtet der Einschüchterungen ein neues „intellektuelles Heldentum“ erwachen. Tibeter, die Zeugen der Repressionen der letzten 2 Jahre wurden, versteckten sich nicht mehr „hinter der Tradition von Selbstzensur aus Angst“.
Verblüffend ist, dass sowohl Dorje Tashe als auch Karma Samdrup in der offiziellen Presse in China noch für ihre Errungenschaften gepriesen wurden, während sie in Tibet schon in Haft sassen. Professor Barnett von der Columbia University deutet das darauf hin, dass die Zentralregierung in Beijing möglicherweise die Kontrolle über die lokalen Behörden teilweise verloren hat, so dass diese ihren harten Kurs ungehindert fortsetzen. Die bekannte tibetische Intellektuelle, Woeser, glaubt auch, dass manche lokalen Kader die neueste Kampagne dazu ausnützen, um persönliche „Rechnungen“ zu begleichen.
Quellen: International Campaign for Tibet ICT; Associate Press; The Times (London); New York Times
11. August 2010
Proteste der Erbebenopfer gegen Enteignung
Die Proteste der Erdbebenopfer in der verwüsteten Region Yushu (Kyegundo, auch Jyekundo geschrieben) halten an.
Aus Protest gegen eine von ihnen als ungenügend angesehene Kompensation zelten viele Einwohner auf den Überresten ihrer zerstörten Häuser, um die Beseitigung der Trümmer zu verhindern. Sie protestieren dagegen, dass sie an die Peripherie umgesiedelt und nur ungenügend entschädigt werden, während ihre bisherigen Grundstücke zum Bau von attraktiven Geschäfts- und Tourismus-Liegenschaften verwendet werden [vergl. Tibet-Informtion vom 24. Juni 2010; UM]. Die genauen Pläne seien lange nicht publiziert worden, um Unruhen zu verhindern. Etwa 60 Prozent der Bewohner, mehrere zehntausend Menschen, seien davon betroffen.
Am 24. Juli wurden etwa 500 Regierungskader in die Region entsandt, die mit den Betroffenen „ideologische Arbeit“ durchführten, mit der Vorgabe, von möglichst allen bis zum 1. August unterzeichnete Einverständniserklärungen zu Umsiedlung zu erhalten – gleichgültig, ob sie wirklich einverstanden waren oder nicht.
Sit-in vor Regierungsgebäude
Etwa 200 bis 300 Einwohner eines Dorfes in der Region zelten ausserhalb eines Regierungsgebäudes, um gegen den Entwicklungsplan der Regierung zum Wiederaufbau nach dem Erdbeben zu protestieren. Es handelt sich vornehmlich um Bauern und Nomaden, denen als Kompensation für ihr Land nur ein Zehntel des vorigen Wertes geboten wurde. Nach den Plänen soll der grösste Teil der Betroffenen in Apartments in einer anderen Region umgesiedelt werden; nur wenigen würde der Wiederaufbau an der Stelle ihrer zerstörten Liegenschaft gestattet.
Ein Augenzeuge berichtete Radio Free Asia, dass jeweils etwa die Hälfte der Dorfbewohner aus Protest campieren und regelmässig von der anderen Hälfte der Bewohner abgelöst würden.
Spendengelder für Erdbebenopfer unter Regierungskontrolle
China hat den Wohltätigkeitsorganisationen ausserhalb der Provinz Qinghai befohlen, alle Spenden, die sie für die Erdbebenopfer in Yushu erhielten, den Behörden zu übergeben, welche die Gelder kollektiv einsetzen würden. Eine Dienstanweisung über die Verwaltung und die Verwendung der Katastrophenhilfsgelder für die von dem Erdbeben heimgesuchte Region Yushu fordert 15 nationale Wohltätigkeitsorganisationen auf, ihre für das Erdbeben in Qinghai gesammelten Gelder der Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten von Qinghai, dem Roten Kreuz Chinas und der China Charities Federation in Qinghai zu übergeben, berichtete China Daily am 4. August.
In dem Artikel wird Chinas Nationaler Rechnungshof zitiert, der angab, die Gelder und das Material aus China und anderen Ländern für die Katastrophenhilfe in Yushu beliefen sich insgesamt auf Yuan 10.66 Mrd (US$ 1.57 Mrd), wovon bis zum 9. Juli fast Yuan 9.84 Mrd ausgegeben worden seien.
Mit dieser Anweisung werden die NGOs aus dem Prozess der Entscheidungsfindung und der Umsetzung der Wiederaufbauhilfe hinausgedrängt. Bereits im April hatten private tibetische Spender davor gewarnt, die Spendengelder allein staatlichen oder staatlich kontrollierten Organisationen anzuvertrauen, da möglicherweise korrupte Kader Geld für sich abzweigen würden. Für einen solchen Aufruf wurde der bekannte tibetische Intellektuelle Tra Gyal verhaftet [vergl. Tibet-Information vom 30. April 2010; UM].
Quellen: Radio Free Asia; China Daily (adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München)
6. August 2010
Seltenes Videozeugnis eines Protests
ICT veröffentlichte in Zusammenarbeit mit ITSN ein seltenes Videodokument über die Aufsehen erregende Protestaktion eines einzelnen Tibeters, des Nomaden Runggye Adak. Dieser Protest hatte sich schon vor 3 Jahren ereignet, jedoch stellte der ausländische Tourist, der damals zugegen war und sich zuerst der Bedeutung seiner Videoaufnahmen gar nicht bewusst war, sein Material erst jetzt ICT zur Verfügung.
Am 1. August 2007 war der Nomade Runggye Adak während der Eröffnungsveranstaltung der sehr populären Pferderennen im osttibetischen Lithang plötzlich auf die Bühne gestiegen, hatte sich des Mikrofons bemächtigt und vor den überrumpelten Funktionären in einer kurzen Rede die chinesische Politik in Tibet kritisiert und die Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet gefordert [vergl. Tibet-Information vom 7. August 2007; UM]. Auch forderte er die Freilassung anderer politischer Gefangener und Aufklärung über die seit 1995 spurlos verschwundene Inkarnation des Panchen Lama, wobei ihm die Zuschauer zujubelten.
„Ich sah ihn auf die Bühne treten, die voller chinesischer Militärs und Offizieller war. Er war ganz ruhig, würdevoll und sprach eindringlich. Leider verstand ich nicht, was er sagte, weil mir der Kham-Dialekt nicht geläufig ist, aber ich sah, wie die Tibeter um mich herum ihre Köpfe bekümmert schüttelten, denn sie fürchteten um ihn. Andere stimmten ihm offen zu“, sagte ein Augenzeuge.
Runggye Adak bei seiner Rede. |
Das Transkript der kurzen Filmsequenz mit einem Teil von Rongyye Adaks Worten lautet: „...Diese Dinge wurden mit uns gemacht; habt ihr gehört, was mit uns geschah? Obwohl wir unsere Körper bewegen können, dürfen wir nicht ausdrücken, was in unseren Herzen ist. Wisst ihr das? Dieser Tage gibt es Leute, die sagen, wir brauchen den Dalai Lama nicht. Der Dalai Lama ist aber derjenige, den wir sechs Millionen Tibeter wirklich brauchen“. Nach wenigen Minuten wurde Runggye Adak von Sicherheitskräften verhaftet. |
Daraufhin versammelten sich über 200 Tibeter vor dem Polizeihauptquartier in Lithang und forderten seine Freilassung. Augenzeugen beschreiben, wie die chinesische Polizei und das Militär durch Einsatz von Tränengas, Betäubungsgranaten und Metallruten die Menschen gewaltsam auseinandertrieben. Mehrere Tibeter um Runggye Adak wurden ebenfalls eingesperrt, so sein Neffe Adak Lopoe und Jamyang Kunkhyen, die nun Strafen von zehn Jahren bzw. neun Jahren verbüssen. Rongyye Adak selbst wurde im November 2007 zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt. Die chinesischen Behörden bezeichneten seien Rede als einen „grösseren politischen Vorfall“ und klagten ihn der „Provokation zur Stürzung der Staatsmacht“ an. Während der Verhandlung stellte der Richter fest, dass Runggye Adak „das Verbrechen der Untergrabung der Grundfesten der Volksrepublik Chinas beging“.
Runggye Adaks Familie durfte ihn bisher nur einmal im Gefängnis besuchen, nachdem 50 Tibeter ein Gesuch an Lokalbeamte richteten. Er leidet unter Magen-Darm-Beschwerden und nachlassender Sehkraft.
Link zum Video: http://vimeo.com/13880583 (mit deutschen Untertiteln).
Quellen: International Campaign for Tibet (ICT); International Tibet Support Group Network (ITSN) - adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München
23. Juli 2010
Human Rights Watch bezichtigt China „unangemessener Gewalt“
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat einen umfassenden Bericht publiziert, der China und den Sicherheitskräften in Tibet während der Unruhen von 2008 Gewaltexzesse gegen Protestierende vorwirft.
Der umfassende Bericht stützt sich auf Interviews mit über 200 Tibetern, die entweder ins Exil flohen oder sich vorübergehend im Ausland aufhielten, aber auch auf offizielle chinesische Quellen. Bewusst wurden tibetische Flüchtlinge oder Auslandreisende möglich rasch nach dem Verlassen Tibets interviewt, um frische, unverfälschte Aussagen zu erhalten.
Der Bericht kontrastiert regierungsoffizielle Stellungnahmen, nach denen die Sicherheitskräfte stets gesetzeskonform gehandelt hätten.
HRW beziffert die Zahl der Protestaktionen allein vom 14. bis 25. März 2008 auf über 150, die sich in wenigstens 18 verschiedenen Bezirken des ehemaligen tibetischen Staatsgebietes ereigneten.
Speziell wirft der Bericht den Sicherheitskräften vor, zur Auflösung von Protestaktionen wahllos in Gruppen von unbewaffnenten Demonstraten geschossen zu haben. Ebenso wurde auf bereits regungslos auf dem Boden liegende Demonstranten weiter eingeschlagen.
Im einzelnen erhebt HRW folgende Vorwürfe:
- Grossangelegte, willkürliche Verhaftungsaktionen – Mehrere tausend Tibeter wurden ohne konkreten Verdacht während Razzien festgenommen; viele von ihnen sind nach wie vor interniert, ohne dass Anghörige Informationen über ihren Verbleib haben.
- Nicht rechtskonforme Gerichtsverfahren – Viele Tibeter wurden inzwischen abgeurteilt, nachdem sie unter Folter „Geständnisse“ ablegten, und ohne dass sie angemessene Möglichkeit zur Verteidigung hatten. Speziell wurden „Geständnisse“ über eine „ausländische Verschwörung“ erpresst. Mehrere Häftlinge starben infolge der Misshandlungen.
- Brutale Gewalt – Im Bericht werden viele Augenzeugen zitiert, die sahen, wie auch auf regungslos auf dem Boden liegende Demonstranten noch mit Stöcken, Gürteln, Gewehrkolben und mit Sand gefüllten Gummischläuchen eingeprügelt wurde.
- Unmenschliche Haftbedingungen – Bis zu 30 Personen wurden in Zellen von 3 – 4 qm Fläche und ohne sanitäre Einrichtugen eingepfercht; meist bekamen sie nur eine kleine Mahlzeit pro Tag zu essen.
- Willkürlicher Gebrauch von Schusswaffen – Mindestens vier Vorkommnisse sind durch Aussagen belegt, während derer Sicherheitskräfte mit scharfer Munition wahllos in Gruppen von friedlichen, unbewaffnenten Demonstranten, nicht selten Mönche oder Schüler, feuerten.
Umgekehrt fragt der Bericht aber auch, wie es dazu kommen konnte, dass die Sicherheitskräfte das Zentrum von Lhasa am 14. März 2008 mehrere Stunden praktisch aufgaben und den gewalttätigen Demonstranten überliessen, und anerkennt, dass es durch Gewalttaten der Demonstranten gegenüber chinesischen Ladenbesitzern Todesopfer gab.
Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums wies den Bericht als „unausgewogen“ und zurück und erklärte, die Sicherheitskräfte hätten „im Einklang mit den Gesetzen und auf zivilisierte Weise“ gehandelt. „Ethnische Gepflogenheiten und die menschliche Würde“ seien respektiert worden.
Quellen: Human Rights Watch (der vollständige Bericht kann unter http://www.hrw.org/node/91850 heruntergeladen werden).
24. Juni 2010
Verhafteter Antiquitätensammler wurde misshandelt
Der inhaftierte Tibeter Karma Samdrup [vergl. Tibet-Information vom 15. Juni 201; UM] hat bei der Eröffnung des Gerichtsverfahrens angegeben, er sei in der Haft schwer misshandelt worden. Karma Samdrup, ein begüteter und bisher politisch unauffälliger Antiquitätensammler und Philantrop, war offiziell unter dem Vorwurf verhaftet worden, er habe vor 12 Jahren (!) Grabraub begangen. Als wahrer Grund für die Verhaftung wird sein Einsatz für seinen inhaftierten Bruder und einen Mitstreiter, beide Umweltaktivisten, vermutet.
Karma Samdrup gab an, er habe während der Haft Schläge und Schlafentzug erdulden müssen. Auch seien ihm unbekannte Medikamente verabreicht worden, wonach er aus den Ohren blutete. Sein Strafverteidiger gab an, Karma Samdrup habe in der Haft 20 bis 30 kg an Gewicht verloren. Er erscheine so hager und eingefallen, dass seine Frau ihn nur noch an seiner Stimme erkannt habe.
Associated Press erwähnt Karma Samdrup als ein Beispiel dafür, wie China neuerdings bisher politisch unauffällige tibetische Intellektuelle und Künstler verfolgt. Laut einem Bericht von Human Rights Watch sitzen derzeit 31 tibetische Musiker, Künstler und Schriftsteller in Haft, die bisher nicht durch politisch abweichende Meinungen aufgefallen waren. Eine Kampagne in dieser Härte habe sich seit der Kulturrevolution nicht mehr ereignet.
Erbebenopfer wehren sich gegen Enteignung
Dutzende von tibetischen Einwohnern der kürzlich durch ein Erdbeben verwüsteten Region Jyekundo protestieren gegen die Pläne der Lokalverwaltung, ihnen ihren Grund und Boden wegzunehmen, um darauf Eigenheime, Schulen, Parks, Hotels und Bürogebäude zu errichten. Einige der von den Behörden beanspruchten Grundstücke seien durch das Erdbeben im April überhaupt nicht beschädigt worden.
Informanten von Radio Free Asia gaben an, dass tagelang etwa 100, nach anderen Angaben sogar „mehrere hundert“ Personen vor dem Gebäude der Lokalregierung protestierten. Ein Angestellter der Regierung sprach von „etwa tausend“ Personen. Es ist unklar, ob es zu Festnahmen kam.
Die Enteignungen betreffen vor allem Gebäude und Grundstücke, die an den zwei Hauptstrassen von Jyekundo liegen. Sie sind von hohem Wert und die Geschäfte an diesen Durchfahrtsstrassen sehr einträglich, denn sie profitieren von dem saisonbedingten Handel, der während der berühmten jährlichen Reiterspiele besonders floriert. Die von der Regierung ersatzweise zugewiesenen Gebäude liegen dagegen in der Peripherie.
Der einzige Hinweis auf die Pläne der Regierung seien Anschläge in chinesischer Sprache gewesen, obwohl die meisten von ihnen dieser Sprache nicht mächtig sind. Sie konnten die Bedeutung der Baupläne für ihre Stadt nur mühsam anhand von Bildern entziffern.
Die Tibeter beschweren sich auch, dass die Regierung mit ca. 80 m2 viel zu kleine Wohneinheiten für sie baut. Viele Einwohner hätten vor dem Erdbeben grössere Gebäude oder Grundstücke gekauft und dafür manchmal ihre ganzen Ersparnisse ausgegeben, so dass sie jetzt viel verlieren.
Bezahlte Jubelchinesen in Ottawa
Für den bevorstehenden Staaatsbesuch von Präsident Hu Jintao in Kanada hat die chinesische Botschaft in Ottawa chinesische Studenten rekrutiert, die zum Jubeln Spalier stehen und Demonstranten abdrängen sollen. Für alle mit staatlichen Stipendien in Kanada geförderten Studenten ist die Anwesenheit Pflicht, um die „Reputation des Mutterlandes“ gegen „Tibeter, Falungong und Uiguren“ zu verteidigen. Dafür werden ihnen Hotelunterkunft, Transport, Mahlzeiten und Kleidung bezahlt. Der Zeitung Epoch Times liegt die Tonbandaufnahme einer Rede eines Botschaftsangestellten mit detaillierten Anweisungen an die Studenten vor.
Quellen: Radio Free Asia (adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München); The Guardian; Associated Press; Epoch Times
16. Juni 2010
Die neueste Bedrohung der Stabilität: Tibetische Melodien als Klingeltöne
Schüler und Lehrer einer Oberschule in der Nähe von Shigatse wurden angewiesen, gewisse populäre tibetische Lieder aus ihren Mobiltelefonen zu löschen, nachdem diese von dem Amt für Erziehung und Bildung als „unheilsam“ eingestuft wurden. Die Schulleitung gab neulich bekannt, dass infolge der „immer komplexer werdenden Separatismus-Angelegenheit“ 27 weit verbreitete und beliebte tibetische Tracks verboten wurden, egal ob sie im Audio- oder Video-Format sind oder sich als digitale Dateien auf den Mobiltelefonen befinden. „Das Schulpersonal und die Schüler dürfen keine der genannten Melodien mehr als ihre Klingeltöne verwenden“, war am 21. April auf der Website der Schule zu lesen. „Falls Sie einen dieser Songs als Klingeltöne benutzen, löschen Sie ihn bitte sofort, falls Sie einen der genannten Tonträger besitzen, vernichten Sie ihn sofort durch Verbrennen oder Einschmelzen“, hiess es weiter. Das KP-Komitee der Schule, das Amt für Bildung und Politik, sowie die Zweigstelle der kommunistischen Jugendliga würden eine Aktion zur Beseitigung der verbotenen Lieder durchführen.
Lückenlose Überwachung aller Hotelgäste in Lhasa
Im Zuge der nochmals verschärften Sicherheitsmassnahmen werden die Hotels in der tibetischen Hauptstadt Lhasa nun gezwungen, elektronische Überwachungsanlagen zu installieren. Laut neuen Polizeiverordnungen müssen alle Hotels und Gästehäuser in der Stadt Kartenleser zur Erfassung von Personalausweisen installieren sowie Videoüberwachungsanlagen, um die Aktivitäten der Gäste genau zu verfolgen. Die Kartenleser übermitteln alle Ausweisdaten elektronisch an die zentrale Polizeistelle. Kein Gast darf ohne einen Personalausweis in einem Hotel absteigen, ebenso werden Ausländer nun strenger kontrolliert.
Die neuen Regeln treten ab sofort in Kraft. Sie gelten für alle Hotels und Gästehäuser, unabhängig von ihrer Grösse. Die Kosten für die Installation, umgerechnet fast US-$ 1‘200 , sind gerade für kleine Herbergen erheblich.
Berühmter tibetischer Antiquitätensammler und Philantrop in Haft
Das auf Juni d.J. terminierte, aber kurzfristig auf unbestimmte Zeit verschobene, Gerichtsverfahren gegen Karma Samdrup bestätigt erneut die Tendenz, gezielt prominente tibetische Persönlichkeiten und Intellektuelle mundtot zu machen [vergl. Tibet-Information vom 4. Juni 2010; UM]. Karma Samdrup, der aus der politisch unruhigen osttibetischen Präfektur Chamdo stammt, gilt als einer der grössten privaten Antiquitätensammler. Aus seinem Privatvermögen finanzierte er vor fünf Jahren eine neue Umweltschutz-Organisation, die Massnahmen der chinesischen Regierung auf dem tibetischen Plateau unterstützte. Bereits zweimal wurde diese Organisation mit Preisen ausgezeichnet.
Karma Samdrup wurde bereits im Januar d.J. verhaftet, offziell unter dem Vorwurf, vor 12 Jahren (!) Grabraub für seine Antiquitätensammlung betrieben zu haben. Wahrscheinlich erfolgte die Verhaftung aber, weil er sich für die Freilassung seines inhaftierten Bruders und eines Mitstreiters eingesetzt hatte. Diese gehörten einer lokalen Umweltgruppe an, die die illegalen Aktivitäten von Kadern und Funktionären wie z.B. die Jagd auf geschützte Tiere angeprangert hatte. Beide wurden im August 2009 festgenommen. Sie sind der „illegalen Sammlung von Informationen und von Propaganda-Materialien der Dalai-Clique“ angeklagt.
Ein Experte von Human Rights Watch glaubt, dass hier ein Exempel statuiert wird: „Personen [wie Karma Samdup; UM] sind eigentlich solche, die aus Regierungssicht die modernen Tibeter verkörpern; sie sind wirtschaftlich erfolgreich, unterstützen nur von der Regierung gebilligte kulturelle und ökologische Aktivitäten, und sind unpolitisch – aber nun werden sie wie Kriminelle behandelt.“
Quellen: Radio Free Asia (adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München); Human Rights Watch
5. Juni 2010
Fotokopiergeräte als neueste Bedrohung der Stabilität in Tibet
Aus Furcht, Tibeter könnten politisch sensitives Material in Fotokopier-Shops in Tibet in Massen vervielfältigen, haben die Behörden in Lhasa neue Kontrollmassnahmen beschlossen. Diese verlangen von Besitzern oder Betreibern von Druckereien und Fotokopier-Shops die erneute Registrierung ihres Betriebes bei den Behörden. Auch müssen sie von allen Kunden, die etwas drucken oder vervielfältigen lassen, einen Identitätsnachweis und eine Angabe des Inhalts der Drucksachen verlangen. Diese Bestimmungen werden ab sofort implementiert.
Die New York Times zitiert die Frau eines chinesischen Ladenbesitzers, der von den Behörden zur Information über diese Bestimmungen zu einer Versammlung gerufen wurde: „Manchmal kommen Tibeter in unser Geschäft und lassen etwas in tibetischer Sprache drucken, was wir nicht verstehen. Das könnten illegale Flugblätter sein.“
Diese Bestimmungen reihen sich in eine Serie von Massnahmen ein, die nicht nur sogenannte „Separatisten“, sondern jegliche kritisch denkende Intellektuelle mit Strafen belegen. Die bekannte tibetische Dichterin und Intellektuelle, Woeser, die in Beijing lebt und selbst davon betroffen ist, sagt: „Damit ist beabsichtigt, Angst in die Herzen der Tibeter einzuflössen. Früher wollten die Behörden die einfachen Mensche einschüchtern. Jetzt zielen sie speziell auf die Intellektuellen ab.“
Tibetischer Schriftsteller zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres festgenommen
Ein aktuelles Beispiel dieser neuen Strategie stellt die Verhaftung des im osttibetischen Bezirk Ngaba lebenden tibetischen Mönches und Schriftstellers Dokru Tsultrim am 24. Mai dar. Dieser wurde bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres verhaftet.
Dokru Tsultrim wurde aus dem Kloster Gomang, wo er seit fünf Jahren lebte, von Beamten des Public Security Bureau (PSB) abgeholt. Diese durchsuchten sein Zimmer in dem Kloster und forderten die Herausgabe seines Laptops, wie sein im Exil lebender Verwandter mitteilte. Dokru Tsultrim gehe keinen sogenannten „separatistischen Aktivitäten“ nach, sondern fördere junge talentierte Tibeter, indem er ihre Aufsätze veröffentlichte. „Er plante, eine Sammlung von Artikeln herauszugeben, in denen diese ihre Gedanken und Gefühle über den Verlust an Menschenleben und die Folgen des Erdbebens in Kyegudo ausdrückten. Ich fürchte, dies könnte zu seiner Festnahmen geführt haben.“
Dokru Tsultrim war bereits im März vergangenen Jahres festgenommen worden, weil seine Artikel angeblich gegen die Regierung gerichtete Inhalte aufwiesen. Nach einem Monat war er wieder auf freien Fuss gesetzt worden.
Ihm wurde vorgeworfen, zwei Artikel verfasst zu haben, in denen er die Regierung kritisiert und die „separatistischen Kräfte des Dalai Lama“ unterstützt habe. Auch die tibetische Zeitschrift „Khawai Tsesok“, die er privat herausgab, wurde eingestellt.
Anhaltende Schülerproteste
Trotz Einschüchterungen halten die Proteste von Jugendlichen in Tibet an. Im chronisch unruhigen osttibetischen Bezirk Serthar wurden 30 Schüler festgenommen, weil sie Steine auf Fahrzeuge geworfen hatten, auf denen die Sicherheitskräfte inhaftierte Mönche öffentlich zur Schau stellten und misshandelten. Die zwei Mönche waren vorher wegen einer Protestaktion festgenommen worden.
An der Schule im Bezirk Machu, ebenfalls Osttibet, wo sich im März und April Protestaktionen von Schülern ereignet hatten [vergl. Tibet-Information vom 22. März 2010 und 12. April 2010; UM] wurden jetzt drastische Verbote implementiert. Bilder des verstorbenen 10. Panchen Lama und berühmter tibetischer Dichter und Gelehrter in den Klassenzimmern sind verboten. Die Schüler dürfen keine Gebetsketten mehr bei sich tragen, nicht mehr beten und keine Bücher und andere Gegenstände religiösen Inhalts besitzen.
Quellen: New York Times; Tibet Post International; Tibetan Center for Human Rights and Democracy TCHRD (adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München)
31. Mai 2010
Weiteres Todesurteil gegen Tibeter
Das Mittlere Volksgericht von Lhasa verurteilte einer Meldung der regierungsoffiziellen Zeitung Lhasa Evening News zufolge einen Tibeter aus Kham namens Sonam Tsering mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub zum Tode und fünf weitere, ebenfalls aus Kham stammende Tibeter zu Gefängnisstrafen von drei bis sieben Jahren, weil sie Sonam Tsering vor den Vollzugsorganen versteckt gehalten hatten.
In der Meldung heisst es, dass Sonam des Randalierens und der Aufhetzung der Bevölkerung zum Randalieren am 14. März 2008 angeklagt wurde. Als Anführer der Krawalle habe er Hunderte von Menschen animiert, Autos und Läden in Brand zu setzen und Polizeifahrzeuge umzustossen. Er habe sich auf ein Polizeifahrzeug geschwungen, dort mit einem Messer in der Luft herumgefuchtelt und laut gegen die Regierung gerichtete Parolen geschrieen. Der durch die Krawalle entstandene Schaden habe sich auf 40 Millionen Yuan belaufen. Den anderen fünf Tibetern wurde zur Last gelegt, Sonam versteckt und seine Flucht ins Ausland vorbereitet zu haben.
Mit der Verhängung des Todesurteils über Sonam Tsering wurden nun insgesamt sieben Tibeter zum Tode verurteilt, und an zweien wurde die Todesstrafe tatsächlich vollstreckt.
Russland als Vermittler zwischen dem Dalai Lama und China?
Die regierungsoffizielle Nachrichtenagentur Novosti zitierte den Russischen Aussenminister Lawrow mit einer erstaunlichen Stellungnahme. Am 13. Mai sagte dieser vor dem Föderationsrat, dem Oberhaus des russischen Parlaments: „Russland ist bereit, im Konflikt zwischen China und dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter, dem Dalai Lama, zu vermitteln.“ Weiter sagte er, dass Russland den interreligiösen und interkonfessionellen Dialog fördere, aber dagegen sei, dass bestimmte Aspekte der Religion in politische Angelegeheiten verkehrt würden. „Wir verfolgen sehr genau, was zwischen der chinesischen Führung und dem Dalai Lama geschieht, und wir wissen, dass die chinesische Führung dem Ziel verpflichtet ist, dass sich der Dalai Lama jeder politischen Aktivität und separatistischer Tendenzen enthält...Das könnte die Lösung des Problems darstellen, und wir sind bereit, hier zu helfen. “
Diese Stellungnahme kommt sehr unerwartet; zum einen, weil die russische Regierung sonst Chinas Standpunkt über “Nichteinmischen in innere Angelegenheiten” unterstützt, mit der Beijing alle Vermittlungsangebote ablehnt, zum anderen kommt sie nur wenige Tage nach der Verweigerung eines Visums an den Dalai Lama. Dieser war zu einem Besuch in der russischen Teilrepublik Kalmükien eingeladen worden, um einen Tempel einzuweihen. Russland hatte das Visum mit dem Hinweis verweigert, dass der Besuch die chinesiche Regierung verärgern würde. Anfang Mai hatte Präsident Hu anlässlich des Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs Russland besucht.
Die Buddhistische Vereinigung in Kalmükien hatte den Dalai Lama schon mehrfach eingeladen. Im Jahre 1994 wurde ihm in letzter Minute ein Visum erteilt [vergl. Tibet-Information vom 11. November und 17. Dezember 2004; UM], dagegen wurde ihm 2007 ein Visum verweigert. Die Bewohner der russischen Teilrepubliken Kalmükien, Burjatien und Tuva folgen überwiegend dem tibetischen Buddhismus, der hier in den vergangenen Jahren einen starken Aufschwung genommen hat.
Beobachter vermuten hinter dieser überraschenden Stellungnahme das Interesse von Russland und China, eine enge strategische Allianz für ein „multipolares“ Weltsystem zu schmieden. Somit könnte Lawrows Stellungnahme auch ein Wink an die USA sein, dass diese kein Monopol auf die Vermittlung im chinesisch-tibetischen Konflikt habe.
Quellen: Tibetan Center for Human Rights and Democracy (adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München), The Statesman
28. Mai 2010
Protest gegen Zementfabrik: 15 Tibeter durch Polizeischüsse verwundet
Bei einem Protest gegen eine Zementfabrik im Nordosten Tibets im Ort Madang (heutige chinesische Provinz Gansu) eröffneten Sicherheitskräfte das Feuer auf eine Gruppe von etwa 200-300 Tibetern. Diese wollten eine Verbindungsstrasse instand setzen, die sich die „Amdo Cement Factory“ angeeignet hatte. Fünfzehn Tibeter wurden entweder durch Schüsse oder Misshandlungen durch die Sicherheitskräfte verletzt, einer davon schwer, und vier weitere wurden festgenommen.
Die 1985 gebaute Zementfabrik führte schon öfters zu Spannungen zwischen den chinesischen Besitzern und Kadern einerseits und der ortsansässigen tibetischen Bevölkerung andererseits. Die Tibeter sind wütend, weil weder die Geschäftsleitung der Fabrik noch die Behörden ihren Beschwerden über die Umweltverschmutzung Gehör verliehen. Die Fabrik entlässt Rauch und giftige Gase in die Luft, welche die ganze Umgebung verschmutzen.
Ein Anwohner bemerkte gegenüber Radio Free Asia: „Die Verschmutzung wird immer schlimmer. Besonders im Sommer müssen die Frauen bei der Feldarbeit Gesichtsmasken tragen. Sogar die Weizenfelder sind von Asche bedeckt, sie sind nicht mehr grün, sondern bieten einen grauen, trostlosen Anblick“. Die Tibeter ziehen keinen Nutzen aus der Fabrik. „Den Gewinn teilen die Kader unter sich. Für uns fiel kaum etwas ab. Wir sind sehr ärgerlich. In einigen Dörfern versiegen die Wasserquellen, so dass die Felder und Tiere leiden.“
Erfolglose Petition
Radio Free Asia zitiert einen Anwohner: „Die Dorfbewohner reichten seit Jahren immer wieder Beschwerden an die Bezirksverwaltung und andere Regierungsstellen ein, aber alles war umsonst. Sie üben entweder Druck aus oder nehmen die Beschwerdeführer fest und lassen sie irgendwo verschwinden“. Vor dem Protest hatten Bewohner eine Petition an das zuständige staatliche Büro für Umweltschutz und andere Staatsorgane gerichtet, deren Text ICT vorliegt und ins Englische übersetzt wurde. ICT hebt hervor, dass die Forderungen der Petition im Einklang mit existierenden Gesetzen stehen und sogar von der Kommunistischen Partei gern gesehene Standpunkte wie „harmonische Entwicklung“ und „wissenschaftliche Betrachtungsweise“ aufgreifen. Die Entschlossenheit, mit der die Forderungen in der Petition vorgetragen werden, mag mit zu dem Entscheid der Behörden beigetragen haben, jetzt mit Gewalt einzugreifen.
Protestaktion am 15. Mai
Den Anlass zur Protestaktion am 15. Mai lieferte offenbar die Blockade einer Verbindungsstrasse durch die Zementfabrik, die sich diese für eine Erweiterung ihres Geländes aneignete. Auf diesem Areal liegt auch ein buddhistisches Heiligtum, das durch voreifahrende Lastwagen beschädigt wurde. Am 15. Mai fanden sich dort etwa 200-300 Tibeter ein, um aus Protest die historische Strasse wieder auszubessern. Regierungskader sandten Sicherheitskräfte dorthin und forderten die Tibeter auf, innerhalb von 15 Minuten das Feld zu räumen, andernfalls würde Gewalt angewendet. Obwohl die Tibeter sich zum Weggehen anschickten, feuerten die Sicherheitskräfte erst mit Tränengas, dann mit scharfer Munition auf sie. Durch Misshandlungen und Schüsse wurden 15 Personen teils schwer verletzt.
Bilder des Protestes und des Polizeieinsatzes sowie eine vollständige englische Übersetzung der Petition sind unter http://www.savetibet..org/media-center/ict-news-reports/police-open-fire-tibetans-protesting-cement-factory-pollution zu finden.
Quellen: Radio Free Asia (adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München), International Campaign for Tibet (ICT)
4. Mai 2010
Anweisung an chinesische Medien: keine schlechten Nachrichten mehr vom Erdbeben
Wie die Organisation Reporter Ohne Grenzen mitteilte, gab das chinesische Propaganda-Ministerium am 25. April eine Direktive heraus, in der die Medien des Landes angewiesen werden, weniger über die Folgen des Erdbebens in Qinghai zu berichten und sich statt dessen auf Reportagen über die Weltausstellung in Shanghai zu konzentrieren.
Aus einer Kopie der Direktive, die Reporter Ohne Grenzen zugespielt wurde, geht hervor, dass die Medien sich von nun an folgende Richtlinien für die Berichterstattung über das Erdbeben zu halten haben: „Sprechen Sie über das Erdbeben in ‚wissenschaftlichen Begriffen’; üben Sie keine Kritik an dem Erdbeben-Frühwarnungsinstitut; geben Sie den Bemühungen der buddhistischen Mönche bei der Katastrophenhilfe nicht zuviel Gewicht; behandeln Sie die von dem staatlichen Fernsehsender CCTV organisierten Spendenaufrufe in aller Ausführlichkeit!“
Ausserdem erinnerte das Informationsbüro des Staatsrates, das für die Überwachung des Internets zuständig ist, die hauptsächlichen Websites daran, dass sie nicht einfach berichten können, was ihnen beliebt. Die Betreiber der Websites wurden angewiesen, dafür zu sorgen, dass es in Berichten über das Erdbeben keine Erwähnung des Dalai Lama und der von den Tibetern organisierten Solidaritätskampagnen gibt.
Tibeter beklagen verfälschte Berichterstattung
Tibeter aus dem Erdbebengebiet sagen, die Berichterstattung über die Rettungs- und Aufräumarbeiten der staatlichen Medien sei weit davon entfernt, die tatsächliche Lage vor Ort wiederzugeben. „Für uns arme Bauern kam die wahre Hilfe von den Mönchen der verschiedenen Klöster, sowohl für jene, die gestorben sind, als auch für jene, die überlebten“, sagte ein Tibeter aus Yushu. „Und jetzt haben die chinesischen Behörden alle tibetischen Mönche aus der Gegend verjagt“.
Er fügte hinzu, die Zeitungs- und Fernsehnachrichten seinen voller ausführlicher Reportagen über die Rettungsaktionen des Staates, aber sie würden nicht immer dem entsprechen, was für viele Tibeter die Realität ist.
„Vor einer Woche berichtete beispielsweise eine lokale chinesische Zeitung, dass die Familien der Todesoper eine Entschädigung von 8.000 Yuan [ca. CHF 1‘300; UM] und die Überlebenden eine von 800 Yuan erhalten würden“, sagte er. „Aber keiner von uns hat auch nur einen einzigen Yuan gesehen“.
Als die chinesischen Soldaten in der Erdbebengegend erschienen, so fügte er hinzu, hätten sie sich als erstes daran gemacht, das Personal in den beschädigten Militärkomplexen und den Regierungsämtern sowie die Familienmitglieder von chinesischen Offiziellen zu retten.
„Es war ein Drama. Viele Soldaten gruben Leichen aus den Trümmern, als die Medien ihre Kameras auf sie richteten, liessen aber diese Arbeit sofort ruhen, als die Medienteams sich entfernt hatten“. „In ähnlicher Weise gruben sie sich durch die Ruinen und den Schutt, als die Reporter mit den Fernsehkameras und den Übertragungsgeräten kamen, aber ignorierten die Verschütteten, als die TV-Crews wieder weg waren“.
Einzelner Demonstrant in Lhasa verhaftet
Unterdessen wurde ein 28-jähriger Tibeter in Lhasa verhaftet, als er allein vor dem Jokhang-Tempel demonstrierte. Er trug eine tibetische Nationalflagge mit sich und forderte die Rückkehr des Dalai Lama, die Freilassung des Panchen Lama und eine gerechte Verteilung der Spenden für die Erdbeben-Opfer. Sicherheitskräfte nahmen in unverzüglich fest.
Quellen: Tibet Post International; Radio Free Asia [adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München]; Tibetan Center for Human Rights and Democracy TCHRD
30. April 2010
Tibetischer Intellektueller wegen Erdbebenhilfe verhaftet
Einer der führenden tibetischen Intellektuellen, Tra Gyal, ist verhaftet worden, nachdem er private Spenden für die Erbebenopfer organisiert und dazu aufgerufen hat, nicht via offizielle Organisationen zu spenden.
Der 45-jährige Schriftsteller und Philosoph, auch unter seinem Künstlernamen Zhogs Dung bekannt, galt als der Kommunistischen Partei und Regierung nahestehend. Er wird als einer der prominentesten tibetischen Essayisten angesehen und vertrat bisher die Position eines behutsamen Erneuerers, der nicht zögerte, auch die Rolle der Religion in Tibet zu würdigen.
Die Polizei verhaftete ihn an seinem Arbeitsplatz und brachte ihn zunächst in seine Privatwohnung, die einer Hausdurchsuchung unterzogen wurde. Später, nachdem er an einen unbekannt Ort gebracht wurde, kam die Polizei zurück und beschlagnahmte Computer, Schriftstücke und Fotos aus seiner Wohnung.
Tra Gyal schien den Zorn von Partei und Regierung auf sich gezogen zu haben, als er am 21. April mit sechs anderen tibetischen Intellektuellen einen Offen Brief schrieb, der milde Kritik am Vorgehen der Behörden nach dem Erbeben äusserte. So schrieb die Gruppe, dass die Partei durch einige Entscheide bezüglich der Hilfsmassnahmen unglaubwürdig geworden sei.
Weiter rief die Gruppe dazu auf, bei Spenden die offiziellen Organisationen wie das Chinesische Rote Kreuz zu meiden, sondern das Geld lieber Vertrauenspersonen zu übergeben, die in die Unglücksregion reisten.So lautet es wörtlich im Aufruf: „ Am besten entsendet mit Euren Spenden jemanden, dem ihr vertrauen könnt; denn, wer sonst könnte schon garantieren, dass es keine Korruption gibt?“
Ausländische Beobachter reagierten mit grossem Erstaunen auf die Verhaftung. Selten war in der Vergangenheit eine prominente Person von Verhaftung betroffen, die wie Tra Gyal als Teil des politischen Establishments angesehen wurde.
Nach dem Erbeben: Weitere Vorwürfe an die Regierung
Weitere Augenzeugen bestätigen die Vorwürfe, dass die von derRegierung entsandten Helfer chinesische Migranten und Regierungsbeamte bei den Hilfsaktionen bevorzugen [vergl. Tibet-Informationen vom 19. und 23. April 2010; UM]. Auch würden offizielle Stellen die Opferzahl herunterspielen, um so über Bausünden hinwegzutäuschen.
GlobalPost zitiert einen tibetischen Mönch in der Region: „Sie machten eine grosse Show mit Lastwagen, die Hilfsgüter transportieren, aber alle fuhren an uns vorbei. Schauen Sie sich um: die tibetischen Familien hier haben nichts zu essen, nichts zu trinken und keine Medikamente.“
Bilder von der Stadt Kyegundo, die besonders schwer betroffen ist, zeigen, dass fast ausschliesslich chinesische Regierungs- und Geschäftsgebäude erhalten blieben. Dagegen sind vor allem die qualitativ schlechten Siedlungen dem Erboden gleichgemacht, die im Rahmen der Sesshaftmachung von Nomaden errichtet wurden. Ebenfalls sind viele Schulen eingestürzt. Die meisten von ihnen waren von den gleichen offiziellen Baufirmen errichtet worden, die schon nach dem Erbeben in der Provinz Sichuan heftige Kritik wegen Baumängeln auf sich gezogen hatten.
Viele Nomaden mussten in einem gross angelegten Projekt zur Sesshaftmachung in hastig errichtete Siedlungen umziehen [vergl. Tibet-Information vom 17. Oktober 2007; UM]. Offiziell war die Massnahme damit begründet worden, die Übergrasung des tibetischen Hochlandes durch die Viehherden zu verhindern. In Wirklichkeit steckte dahinter wohl die Absicht, die Nomaden als Sesshafte besser kontrollieren zu können. Viele der Nomaden standen auch projektierten Staudämmen und Goldminen im Wege.
Quellen: Times Online; GlobalPost
23. April 2010
China im Dilemma: Helfende Mönche sollen Erbebenregion verlassen
Während China zu einem nationalen Trauertag für die Menschen aufrief, die bei dem Erdbeben im Bezirk Yushu in der Provinz Qinghai ums Leben kamen, befahlen die dortigen Behörden den vielen Mönchen aus den benachbarten Gegenden, die bei der Bergung der Opfer die wesentliche Arbeit geleistet hatten, nach Hause zurückzukehren. Nicht anders erging es Mönchen und Geschäftsleuten, die mit Spenden und Hilfsmitteln in die Region reisen wollten.
Damit offenbart sich für die chinesische Regierung ein gravierendes Dilemma. Auf der einen Seite besuchten sowohl Staatspräsident Hu als auch Premierminister Wen die Unglücksregion und versprachen jede erdenkliche Hilfe. Etwa 12‘000 Soldaten wurden nach offiziellen Angaben zu den Rettungsarbeiten in Bewegung gesetzt. Nicht wenige von ihnen kämpfen mit den winterlichen Wetterbedingungen und der Höhenkrankheit. Auch wurden etwa 500 Übersetzer in die Region beordert, da viele der Anwohner und Opfer nicht die chinesische Sprache beherrschen. Die staatlich kontrollierten Medien wurden nicht müde, die „Harmonie“ der verschiedenen Völker herauszustreichen und betonen, dass man alles unter Kontrolle habe.
Hinter der propagandistisch inszenierten Hilfsbereitschaft steckt auch die grosse Sorge vor dem Ausbruch neuer Konflikte. Laut Augenzeugen sei Präsident Hu, der selbst einmal Sekretär der Kommunistischen Partei in der Autonomen Region Tibet war und damit für die Verhängung des Kriegsrechts im Jahr 1989 mitverantwortlich, bei seinem Besuch in der Erdbebenregion von der Bevölkerung äussert kühl empfangen worden. Ein Augenzeuge berichtete Radio Free Asia (RFA):„Viele der tibetischen Einwohner zeigten ihre Abneigung gegen Präsident Hu, indem sie ihm nicht die Hand reichten“. Während des Besuchs des Präsidenten sei infolge der scharfen Sicherheitsmassnahmen der Verkehr in der Gegend gänzlich zum Erliegen gekommen, wodurch die Behandlung vieler Verletzter verzögert wurde und einige sogar gestorben seien. „Als Präsident Hu den Katastrophenort besuchte, würdigte er die Mönche überhaupt nicht, obwohl sie bei den Rettungsarbeiten an vorderster Front standen“, fügte er hinzu.
Nun wurden die Mönche, die oft als erste Hilfe geleistet hatten, aus der Region weggewiesen. Manchen, die sich weigerten, ihre Hilfe einzustellen, sei sogar gedroht worden. Auch Geschäftsleute und Einzelpersonen, die sich bereits mit Geld und Wagenladungen von Hilfsgütern auf dem Weg nach Yushu befanden, seien zum Umkehren aufgefordert worden. Mönche aus der Präfektur Nagchu, die an Yushu grenzt, wurden gezwungen, ihre gesammelten Spenden und Hilfsgüter an die Bezirksverwaltung zu übergeben, wie ein Informant gegenüber RFA erklärte. Woeser, die bekannte tibetische Schriftstellerin und Bloggerin aus Beijing, sagte in einem Interview: „Die tibetischen Mönche wurden aufgefordert, in ihre Klöster zurückzukehren, wenn sie es nicht tun, geraten sie in grosse Schwierigkeiten. Daher müssen nun viele Klöster ihre Mönche zur Einstellung der Bergungsarbeiten und Rückkehr zwingen“.
Während Helfer weggewiesen werden, errichtet die Armee nach Augenzeugen um die Erdbebenregion Strassensperren.
Die offizielle Begründung für die Wegweisungen lautet, dass weitere Hilfe nicht mehr benötigt werde. Hilfe habe nur durch die offiziellen Stellen zu erfolgen, und keine Organisationen oder Einzelpersonen dürften Sachspenden in eigener Regie in die betroffenen Regionen bringen.
Mit den Wegweisungen will die chinesische Regierung offenbar das Dilemma lösen, dass nun ausgerechnet Mönche, die von der offiziellen Propaganda jahrelang als „Feinde des Mutterlandes“ und „Spalter“ verteufelt wurden, als selbstlose Helfer an vorderster Front angetroffen wurden.
Quellen: Radio Free Asia RFA (teilweise adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München; Associate Press
19. April 2010
Nach dem Erdbeben in Tibet: schwere Vorwürfe gegen chinesische Regierung
Zahlreiche hochrangige Partei- und Regierungskader, allen voran Staatspräsident Hu Jintao, haben den Ort der Erdbebenkatastrophe in Tibet besucht; die Rettungseinsätze werden auch propagandistisch ausgeschlachtet.
Tibeter im Exil erheben jetzt aber schwere Vorwürfe gegen die Regierung. Sie sagen, dass die chinesische Regierung die Zahl der Opfer zu gering angibt. Die Katastrophenhilfe werde in den Medien gross herausgestellt, doch die tatsächliche Opferzahl werde unter Verschluss gehalten. Viele Opfer in entlegenen Regionen seien nicht in den offiziellen Zahlen enthalten. Tibetische Augenzeugen schätzen die Opferzahl weitaus höher; von bis zu 10‘000 Toten ist die Rede, verglichen mit offiziellen Angaben von etwas über 1‘000 Opfern, und die Zahl steige noch weiter.
Die Rettungsmannschaften der chinesischen Regierung konzentrierten sich auf Orte, die von Regierungsbeamten und der Elite bewohnt werden, während sie die gewöhnlichen Tibeter vernachlässigten. Die bei der Bergung eingesetzten Soldaten sorgten sich weit mehr um ihre eigene Sicherheit, als sich der Rettung der Opfer anzunehmen
Die chinesische Regierung hat zudem die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung eingeschränkt. Alle grösseren Strassen, die zu der Katastrophengegend führen, wurden vom Militär abgeriegelt. Dadurch ist es freiwilligen Helfen und Journalisten kaum mehr möglich, unabhängig über die Lage zu berichten. Der staatliche Fernsehsender CCTV und Xinhua sind die einzigen Medien, die in der Katastrophenregion zugelassen sind.
China lehnt jede Hilfe aus dem Ausland kategorisch ab und sagt, man werde alleine mit der Lage fertig. Diesbezügliche Angebote aus Russland, Taiwan, von der UNO und den USA und Indien wurden alle von der chinesischen Regierung zurückgewiesen, die versicherte, die Naturkatastrophe alleine bewältigen zu können.
Computerexperten decken ein neues Cyber-Spionagenetz auf
Experten der Universität Toronto haben nach eigenen Angaben ein grosses Cyberspionage-Netzwerk aufgedeckt, das sie scheinbar in Anlehnung an das früher aufgedeckte „Ghost Net“ als „Shadow Net“ bezeichnen. Hacker hatten mithilfe dieses Netzes offenbar sensitive Dokumente aus dem indischen Verteidigungsministerium und Botschaftsdokumente über die Aussenpolitik Indiens entwenden können. Die Attacke auf das Netz der Tibetischen Regierung im Exil war weniger erfolgreich, weil dort nach dem Eindringen des Ghost Net zusätzliche Sicherheitsmassnahmen implementiert worden sind. Man habe gerade einmal eine gewisse Zahl nicht-sensitiver persönlicher Mails des Dalai Lama erbeutet.
Die Experten konnten den Ursprung des Shadow Net in der chinesischen Provinz Sichun lokalisieren und sogar einzelne Mailadressen identifizieren, deren Inhaber bekannte Namen aus der chinesischen Hacker-Szene tragen. Unklar bleibt, ob diese Attacken von der chinesischen Regierung inspiriert oder gebilligt wurden.
Quellen: Phayul; TibetPost International [adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München]; eurasiareview.com
12. April 2010
Neue Proteste von tibetischen Jugendlichen
Die Serie von Protesten jugendlicher Tibeter [vergl. Tibet-Information vom 22. März 2010; UM] reisst nicht ab. Seit Ende März gibt es Berichte über mindestens sieben verschiedene, kleine Aktionen im osttibetischen Bezirk Sertha, die meist nur wenige Personen involvierten. Das Zentrum dieser Proteste ist die Region um das renommierte Larung Gar Institut. Dieses Institut war vor 10 Jahren auch unter chinesischen Buddhisten so populär geworden, dass es den chinesischen Behörden bedrohlich wurde [vergl. Tibet-Informationen vom 26. Juni und 30. August 2001; UM]. Unter dem fadenscheinigen Argument, dass dieses Institut die erlaubte Höchstzahl von Mönchen und Studierenden überschritten habe, wurden grosse Teile der Unterkünfte dem Boden gleich gemacht, die Studierenden weggewiesen und der Gründer und Vorsteher Khenpo Jigme Phuntsog unter Hausarrest gestellt. Dieser verstarb wenige Jahre später.
An mehreren Tagen seit Ende März ereigneten sich Proteste, wo Mönche einzeln oder in Gruppen zu zweit eine kurze Demonstration mit der verbotenen tibetischen Nationalflagge abhielten und Slogans riefen. In allen Fällen wurden sie von der Polizei verhaftet. Keiner der Protestierenden, die namentlich bekannt wurden, war älter als 20 Jahre, der jüngste 15 Jahre. In einem Fall protestierte ein als Wiedergeburt anerkannter 19-jähriger Lama, Tulku Namgyal, in seinem Dorf, indem er handgeschriebene Zettel mit Parolen zur Freiheit Tibets und Rückkehr des Dalai Lama in die Luft warf. Auch er wurde verhaftet.
Die Bewegungsfreiheit der Mönche und Nonnen in der Region wurde eingeschränkt, Strassensperren wurden eingerichtet und Sicherheitskräfte verstärkt.
Schüler protestieren gegen Entlassungen
Am 3. April protestierten Schülerinnen und Schüler der Mittelschule von Machu gegen die Entlassung ihres Direktors. Am 14. März hatte sich dort nach der Absage eines Schulprojekts schon eine Protestaktion ereignet [vergl. Tibet-Information vom 22. März 2010; UM]. Der Direktor der Schule und zwei Assistenten waren daraufhin entlassen worden.
Am 3. April protestierten die Schülerinnen und Schüler zunächst mit dem Abbrennen von Feuerwerkskörpern in der Schule und verlangten die Wiedereinstellung der Entlassenen. Das Gebäude sei laut Augenzeugen von Sicherheitskräften umstellt worden, aber es gibt derzeit keine klaren Informationen, was mit den Protestierenden geschah.
Weitere Proteste von Schülern und Lehrern im Osten Tibets
Ein 22jähriger Tibeter wurde vor zwei Wochen im Bezirk Driru verhaftet, nachdem er eine chinesische Flagge von der dortigen Gemeinde-Halle heruntergeholt und angezündet haben soll. Die Polizei habe ihn sofort nach seiner Tat festgenommen und schwer misshandelt.
Am 22. März 2010 demonstrierten Dutzende von Schülern im Alter von 11 bis 15 Jahren im gleichen Bezirk gegen die chinesische Herrschaf. Die Schule wurde innerhalb kürzester Zeit von Sicherheitskräften umstellt. Diese nahmen etwa 20 von ihnen fest und nahmen dann auch einige Eltern der Schülerzum Verhör mit. Wie der Vorfall endete, ist nicht bekannt. Überall patrouilliert die bewaffnete Polizei, um weitere Proteste zu verhindern.
Im Bezirk Dzoege wurden fünf tibetische Lehrer wegen eines Gedenkens an den Aufstand von 2008 in ihrer Schule festgenommen. Am 10. und 14. März hatten die Schüler von tibetischen Schulen in der Gegend, in der die fünf Lehrer beschäftigt sind, ihre traditionellen Chubas angelegt und Butterlampen auf dem Campus entzündet, um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen.
Quellen: Tibetan Center for Human Rights and Democracy TCHRD [teilweise adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München]; Epoch Times
9. März 2010
Nepal: Harter Kurs gegen tibetische Flüchtlinge,
Verhaftung des Repräsentanten des Dalai Lama
Die Regierung von Nepal ändert ihre bisherige Praxis gegenüber tibetischen Flüchtlingen und sendet diese über die Grenze nach Tibet zurück. Die Flüchtlinge müssen dort mit Haft und Misshandlungen rechnen [vergl. Tibet-Information vom 5. Januar 2004; UM].
In einer Anweisung der nepalischen Regierung an die lokalen Verwaltungsbehörden in den nördlichen Grenzbezirken zu Tibet sind diese zu verstärkter Wachsamkeit gegenüber tibetischen Flüchtlingen aufgerufen, die illegal die Grenze überqueren. Aufgegriffene Flüchtlinge sollen sofort wieder über die offiziellen Grenzübergänge an die chinesischen Behörden übergeben werden. Die neue Richtlinie beendet damit die bisherige inoffizielle Absprache mit dem UN-Hilfswerk für Flüchtlinge, dass aufgegriffenen Flüchtlingen den Transit via UNHCR-Lager in Kathmandu nach Indien ermöglichte. Die Änderung erfolgte offenbar unter starkem chinesischen Druck auf die nepalische Regierung. Chinesische Regierungskreise hatten sich besorgt über den angestiegenen Flüchtlingsstrom nach Nepal gezeigt.
Um Demonstrationen zum 10. März, dem Jahrestag des tibetischen Volksaufstandes zu verhindern, wurde Thinley Gyatso, der Repräsentant des Dalai Lama in Kathmandu, verhaftet. Die Exiltibeter in Kathmandu befürchten noch weitere Verhaftungen.
Die chinesische Regierung will nächsten Dalai Lama ernennen
In einer regierungsoffiziellen Stellungnahme zu diesem Thema beharrte der frühere Gouverneur der Autonomen Region Tibet (TAR) und jetzige Delegierte des Nationalen Volkskongresses, Jampa Phuntsog, auf der Auswahl und Genehmigung des nächsten Dalai Lama durch die Zentralregieurng in Beijing. Die neue Inkarnation nach dem Tode des gegenwärtigen Dalai Lama benötige die Anerkennung durch die Regierung, ansonsten sei der Nachfolger „illegitim“. „Im Moment gibt es keinen Grund, die Nachfolge ausführlich zu diskutieren,“ fügte Jampa Phuntsog hinzu. „Der jetztige Dalai Lama lebt noch. Warten wir, bis er tot ist, dann können wir darüber reden.“
Der Dalai Lama hatte wiederholt gesagt, dass es in der Entscheidung des tibetischen Volkes stehe, ob es einen 15. Dalai Lama gebe. Wenn die Tibeter der Meinung seien, dass diese Institution nicht mehr relevant sei, dann könne man sie auch problemlos beenden. Alternativ könne der nächste Dalai Lama bereits zu seinen Lebzeiten ernannt, demokratisch gewählt, oder im Exil wiedergeboren werden. „Offenbar haben die Chinesen mit dieser Institution mehr Probleme als wir,“ fügte er hinzu.
Ein seltener Hinweis auf den Panchen Lama
In der gleichen Medienkonferenz machte der neue Gouverneur der TAR, Padma Choeling, eine Bemerkung über den Aufenthaltsort des Panchen Lama. Gendun Choeky Nyima war als fünfjähriger Junge 1995 vom Dalai Lama als Inkarnation anerkannt worden, verschwand aber wenige Tage später mit seiner Familie spurlos. China hatte sich nur sehr selten konkret zu seinem Aufenthaltsort und seinem Wohlergehen geäussert. Meist wurden ausländische Delegationen und Medienvertreter mit der stereotypen Mitteilung abgewiesen, ihm gehe es gut, und er wünsche keine Störung.
Padma Choeling sagte gegenüber den Medien, dass Gendun Choeky Nyima mit seiner Familie an „einem entlegenen Ort in Tibet ein glückliches Leben“ führe. Der Dalai Lama hätte kein Recht gehabt, ihn als Inkarnation anzuerkennen, und so sei der Junge „ein Opfer“ dieser falschen Praxis.
China hatte einen anderen Jungen, Gyaltsen Norbu, als Inkarnation des Panchen Lama installiert, der aber von den meisten Tibetern nicht respektiert wird. Kürzlich wurde Gyaltsen Norbu zum Vizepräsidenten der chinesischen Buddhistischen Union ernannt und in ein Beratergremium der Regierung berufen. Wiederholt hatte Gyaltsen Norbu bei offiziellen Auftritten die kommunistische Herrschaft über Tibet gepriesen.
Quellen: Asian Times; Tribune of India; AFP; Associate Press
5. März 2010
China startet Sicherheitskampagne vor dem Jahrestag
des tibetischen Volksaufstandes am 10. März
Vor dem äusserst sensiblen Datum des 10. März, dem Jahrestag des tibetischen Volksaufstandes von 1959 und dem 2. Jahrestag der gewaltsamen Proteste, haben die Behörden eine massive Sicherheitskampagne gestartet, um Proteste bereits im Keim zu ersticken.
In der offiziellen Zeitung Lhasa Evening News (chin. Lasa Wen Bao) vom 3. März ist zu lesen: „Auf Anweisung der Stadtverwaltung von Lhasa, des Public Security Bureau (PSB) der Autonomen Region Tibet (TAR), des Parteikomitees der TAR und des Parteikomitees der Stadt Lhasa hat das Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB) der Stadt Lhasa heute um 9:00 Uhr (Pekinger Standardzeit) die Kampagne in der Hauptstadt Lhasa gestartet. Sie wurde auch in allen sieben Präfekturen der TAR in Gang gesetzt, um gemäss dem Gesetz gegen alle Arten von krimineller Aktivität entschieden vorzugehen und nachdrücklich für öffentliche Ordnung und Stabilität zu sorgen“. Die Dauer der Kampagne wird nicht spezifiziert, sie könnte sich über Monate erstrecken.
In und um Lhasa wurden zusätzliche Sicherheitskräfte in voller Kampfausrüstung stationiert, ebenso an allen Zufahrtswegen zu der Stadt. Der Verkehr in die Stadt und aus ihr hinaus wird streng kontrolliert, wobei jeder, der sie betritt oder verlässt, seine Ausweispapiere vorlegen muss. Neue Kontrollpunkte wurden errichtet, um Verdächtige sofort dingfest zu machen. Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen gelten rund um die Uhr.
Sicherheitskräfte in Kampfuniform patrouillieren an heiklen Stellen der Stadt und den Plätzen, wo sich Tibeter zu versammeln pflegen. Auch in den Gästehäusern gab es Razzien. Über die Auswirkungen der Kampagne in anderen Präfekturen der TAR gibt es keine Informationen.
Dem offiziellen Bericht zufolge nahmen die PSB-Beamten der Stadt Lhasa bereits 70 Personen in Mietshäusern an der Strasse zum ausserhalb von Lhasa gelegenen Kloster Sera fest, die keine Personalausweise vorweisen konnten. In den sieben zum Bezirk Lhasa zählenden Kreisen ist die Kampagne ebenfalls in kriegsähnlichem Stil mit Razzien und Durchsuchungsaktionen im Gange.
Die neue Kampagne folgt auf Jahre ohnehin schon strengster Sicherheitsmassnahmen und einer äusserst repressiven Politik in Tibet. Anders als die bisherigen Kampagnen dieser Art, die sich hauptsächlich auf die Stadt Lhasa konzentrierten, wurde sie diesmal in der gesamten Autonomen Region Tibet einheitlich initiiert. Diese neue Entwicklung signalisiert eine Verhärtung der politischen Linie in Tibet. Mit einem Präventivschlag versuchen die Behörden, potentielle Protestaktionen in den kommenden Tagen schon im Keim zu ersticken.
Kampagnen dieser Art werden in diversen Teilen der VR China regelmässig vor wichtigen Ereignissen durchgeführt, etwa den gesetzlichen Feiertagen, Jahrestagen wichtiger Ereignisse, sowie vor den jährlichen Partei- und Regierungskonferenzen, wobei die „Säuberung der sozialen Umfelds“ als Grund genannt wird.
Die jetzt neu gestartete Kampagne in Tibet könnte der Auftakt sein zu willkürlichen Festnahmen vor dem 10. März, dem Jahrestag des tibetischen Volksaufstands, aber auch vor dem Zusammentreten der „Politischen Konsultativ-Konferenz des chinesischen Volkes“ (CPPCC), und vor der jährlichen Plenarsitzung des Nationalem Volkskongresses (NPC), die am 5. März beginnt. Hauptziel der Kampagne in Tibet dürften politisch aktive Tibeter, ehemalige politische Häftlinge und nicht in Lhasa registrierte Personen sein, aber auch Mönche und Nonnen.
Quelle: Tibetan Centre for Human Rights and Democracy TCHRD [adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München]
17. Februar 2010
Geldgeschenke, wenn Tibeter Neujahr feiern
Wie schon im letzten Jahr, beabsichtigen die Tibeter in vielen Teilen der Provinzen Qinghai, Gansu, Yunnan und Sichuan das diesjährige Neujahrsfest (Losar) am 14. Februar aus Protest gänzlich zu boykottieren. Die chinesischen Behörden im osttibetischen Bezirk Lithan bieten den Tibetern Geldgeschenke von bis zu 30‘000 Yuan (ungefähr US$ 4‘400), wenn sie das tibetische Neujahr gebührend feiern, berichtete der Radiosender Voice of Tibet (VOT). Schon im vorigen Jahr hatten Parteifunktionäre Tibeter mit Geldgeschenken für Kleidereinkäufe und andere Artikel zur Aufgabe des Boykotts zu bewegen versucht.
Unter Berufung auf eine Quelle in Lithang teilte VOT mit, die chinesischen Behörden in mehreren Teilen des Landes ermutigten die Tibeter, am 14. Februar das Neujahr mit einem grossen Fest zu begehen. Die Behörden ermahnten die Tibeter, dieses Jahr das Losar-Fest im Hinblick auf „die wirtschaftliche Entwicklung und soziale Stabilität“ und um den „Erfolg der Minderheiten-Politik der Zentralregierung“ zu gewährleisten, als loyale Bürger der Volksrepublik China zu feiern. „Sie versprachen sogar, alle Kosten für die Festlichkeiten und Unterhaltungsprogramme während der tibetischen Neujahrszeit zu tragen“.
Denjenigen unter den dort lebenden Tibetern, die den jüngsten Protestaktionen für die Freilassung des inhaftierten tibetischen Lehrmeisters Tulku Tenzin Delek [vergl. Tibet-Information vom 12. Dezember 2009; UM] fernblieben, sowie solchen, die zu den Beamten und Soldaten, die die Proteste niederschlugen, hielten, wurden staatliche Hilfsgelder zur Renovierung ihrer Häuser bewilligt und Geldgeschenke bis zu 30‘000 Yuan in bar ausgehändigt.
Nepalesischer Innenminister diskutiert „Grenzsicherungsmassnahmen“ in China
Der nepalesische Innenminister Bhim Rawal brach am 6. Februar mit einer achtköpfigen Delegation hochrangiger Regierungsvertreter zu einem einwöchigen Besuch nach Lhasa und Peking auf, um Fragen der Optimierung der Grenzkontrollen sowie Massnahmen zur Verhinderung der sogenannten „antichinesischen“ Aktivitäten von Tibetern auf nepalesischem Boden zu besprechen, berichtete die Nachrichtenagentur IANS.
Bei den Gesprächen, bei denen es in erster Linie um Grenzsicherheit und das Problem der tibetischen Flüchtlinge geht, werden die beiden Seiten eine „gemeinsame Strategie“ zur wirksamen Umsetzung der Ein-China-Politik, der sich Nepal verpflichtet fühlt, erarbeiten.
Rawal, den die Chefs aller drei Sicherheitsdienste Nepals, der Polizei, der bewaffneten Polizei und des Geheimdienstes begleiteten, besprach mit seinen chinesischen Amtskollegen die Zusammenarbeit bei der Sicherung der Nepal-Tibet-Grenze. Der Hauptzweck dabei sei die Verhinderung von Protesten tibetischer Flüchtlinge in Nepal und die Eindämmung des Flüchtlingsstroms von Tibetern durch Nepal nach Indien.
Noch im Jahr 2007 erreichten über 2‘300 Tibeter das Tibetische Auffanglager für Flüchtlinge in Dharamsala. 2009 dagegen gelang nur 691 Tibetern die Flucht. In dem Bericht heisst es, Nepal habe auf Pekings Geheiss hin bereits in zehn seiner Grenzdistrikte zu Tibet bewaffnete Polizeieinheiten stationiert, was zu einem dramatischen Rückgang der Zahl an tibetischen Flüchtlingen führte, die aus ihrem besetzten Land zu entkommen suchten.
China sei vor allem besorgt wegen angeblicher antichinesischer Aktivitäten in dem am nördlichsten gelegenen Distrikt Nepals, Mustang, einem alten tibetischen Königreich, wo bis in die 70-er Jahre die tibetischen Widerstandskämpfer ihre Basis hatten.
Quellen: Phayul; Voice of Tibet VO; Tibetan Review (adaptierte deutsche Übersetzung durch IGFM München)
2. Februar 2010
Reise der Gesandte des Dalai Lama nach China inmitten von Spekulationen
Die Gesandten des Dalai Lama reisten in der letzten Januarwoche überraschend zur neunten Gesprächsrunde nach China und kehrten soeben zurück. Die Tatsache, dass die Reise unmittelbar nach Beendigung einer mit hochrangigen chinesischen Kadern besetzten Konferenz, des 5. Arbeitsforums für Tibet, erfolgte, führte zu einigen Spekulationen über eine Änderung der bisherigen starren Haltung der chinesischen Regierung in der Tibetfrage und gewisse Änderungen in der Tibetpolitik.
5. Arbeitsforum für Tibet
Die Arbeitsforen zu Tibet, die erst fünfmal seit 1980 stattfanden, sind jedes Mal mit hochrangigen Kadern besetzt und stellen in der Tibetpolitik der chinesischen Regierung jeweils die Weichen für die nächsten Jahre. Das letzte Forum hatte 2001 stattgefunden. Die International Campaign for Tibet kommt in einer Analyse der Resultate dieses Arbeitsforums zu einigen bemerkenswerten Beobachtungen.
Auf die sonst üblichen heftigen verbalen Angriffe gegen den Dalai Lama wurde dieses Mal verzichtet. Ungewöhnlich war ein Satz in der Rede des Premierministers Wen Jiabao, der in seiner Rede vor dem Arbeitsforum von dem „unantastbaren kulturellen Erbe Tibets“ sprach. Aufmerksam wurde auch die Bemerkung von Zhu Weiqun, einem Mitglied der chinesischen Geprächspartner der Gesandten, registriert, die bisherigen Einlassungen des Dalai Lama seien „gut, aber nicht gut genug.“
Mehr Betonung wird auf die Entwicklung der armen ländlichen Regionen in Tibet gelegt. Diese wurden bisher gegenüber industriellen Grossprojekten und der Entwicklung der Städte vernachlässigt. Dieses könnte ein Anzeichen sein, dass die Regierung erkannt hat, dass das Ausschütten von Geld in Grossprojekte keine Loyalität bei den Tibetern erzeugt hat. Die heftigsten Unruhen haben sich seit 2008 gerade in den ökonomisch hoch entwickelten Städten und Regionen Tibets ereignet.
Zum ersten Mal wird auch die Signifikanz der Umweltveränderungen durch die globale Erwärmung anerkannt. Das Arbeitsforum hebt die möglichen Auswirkungen der Klimaveränderung auf die Gletscher in Tibet und den Wasserhaushalt ausdrücklich hervor und zeigt damit, dass Tibet in der chinesischen Staats- und Parteiführung alles andere als eine marginale Rolle spielt.
Erstmals auch erstrecken sich die Beschlüsse des Arbeitsforums nicht nur auf die „Autonome Region Tibet“, sondern auf alle Regionen, die von Tibetern bewohnt werden. Letztere waren nach der chinesischen Invasion vom de-facto unabhängigen Tibet abgetrennt und chinesischen Provinzen einverleibt worden. Der Autonomieplan des Dalai Lama und der Tibetischen Regierung im Exil schloss ebenso ausdrücklich alle Regionen des historischen Tibet ein. Eine grosse Zahl der Unruhen seit 2008 ereignete sich ausserhalb der „Autonomen Region Tibet“. Jetzt könnte sich in der chinesischen Führung die Einsicht durchgesetzt haben, dass diese tibetische Regionen mehr miteinander gemein haben als mit den chinesischen Provinzen, in die sie ausgegliedert wurden.
Neuer Gouverneur von Tibet gilt als „Hardliner“
Auf der anderen Seite dämpfte die Ernennung des neuen Gouverneurs von Tibet, Jampa Phuntsog [vergl. Tibet-Information vom 17. Januar 2010; UM] Hoffnungen auf eine Bewegung der bisher starren Fronten. Die jahrelange militärische Karriere von ihm und seine ersten Bemerkungen nach der Amtseinführung weisen ihn als „Hardliner“ aus. Sein militärischer Hintergrund scheint anzuzeigen, dass die Regierung zuvorderst weiter auf gewaltsame Repression setzen wird.
Chinesische Stellungnahmen nach der Rückkehr der Gesandten stimmen pessimistisch
Während die tibetischen Delegationsleiter, Lodi Gyari und Kelsang Gyaltsen, nach ihrer Rückkehr aus China keine Stellungnahmen abgaben, stimmten Verlautbarungen von Du Qinglin, dem Verantwortlichen der Kommunistischen Partei für Religion und „ethnische Minderheiten“, gegenüber den Medien eher pessimistisch. Er sagte: „Es gibt absolut keinen Verhandlungsspielraum für Souveränität, territoriale Forderungen, oder irgendwelche anderen Konzessionen.“
Quellen: International Campaign for Tibet ICT; AP
17. Januar 2010
Google überdenkt nach Hacker-Angriff sein China-Geschäft
Unbekannte haben versucht, die E-Mails chinesischer Menschenrechtler auszuspionieren. Google erklärte am Dienstag, es habe Mitte Dezember einen gezielten Angriff auf die Server-Infrastruktur gegeben. "Wir haben eine sehr ausgeklügelte Attacke gegen uns entdeckt, die aus China kommt", sagte der Chef der Rechtsabteilung von Google, David Drummond.
Der Angriff der Hacker habe mindestens 20 weiteren Unternehmen gegolten, vor allem im Internetbereich. Aber auch Firmen aus dem Finanz- und Technologiesektor seien betroffen gewesen. Man habe Beweise dafür, dass die Angreifer vor allem Zugriff auf die E-Mails von chinesischen Menschenrechtsaktivisten bekommen wollten, sagte Drummond.
Nach Angaben des Konzerns gebe es keine Hinweise darauf, dass die Angriffe auf die E-Mail-Einträge in vollem Umfang erfolgreich gewesen seien. Die Späher hätten lediglich Zugang zu zwei Einträgen gehabt. Den Inhalt der Mails hätten die Angreifer nicht komplett einsehen können. Drummond schrieb, bei den Untersuchungen der Hacker-Angriffe auf den Google-E-Mail-Dienst Gmail habe man auch entdeckt, dass Dutzende von E-Mail-Konten von Menschenrechtsaktivisten in den USA, in Europa und China systematisch sogenannten Phishing-Attacken ausgesetzt gewesen seien. Dabei versuchen die Angreifer, mit gefälschten Login-Seiten die Zugangsdaten zu den E-Mail-Konten abzufangen.
Google nannte keine Verdächtigen, stellt nun aber seine Aktivitäten in China in Frage. Man werde die Zensurauflagen in der Volksrepublik nicht länger hinnehmen, hieß es. Der Konzern will in den nächsten Wochen mit der chinesischen Regierung klären, ob und in welchem Umfang der Konzern seine Geschäfte in China weiter betreiben kann. Die Überprüfung des Engagements sei eine schwierige Entscheidung mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen, hieß es in der Mitteilung.
Google.cn startete im Januar 2006. Der Suchmaschinenkonzern hatte sich damals wie andere westliche Internetunternehmen auch verpflichtet, die Gesetze in der Volksrepublik China einzuhalten und auf der chinesischen Google-Seite gefilterte Suchergebnisse angeboten [vergl. Tibet-Information vom 25. Januar uns 9. Juni 2006; UM].
Neuer Gouverneur für „Autonome Region Tibet“
Fast zwei Jahre nach dem letzten Aufstand in Tibet hat die chinesische Führung einen neuen Gouverneur ernannt. Padma Choling, der 17 Jahre in der chinesischen Volksbefreiungsarmee diente, übernahm das Amt am Freitag. Er ist damit der formal ranghöchste Tibeter in der Regionalregierung. Sein Vorgänger, der Ingenieur Jampa Phuntsok (chin. Qiangba Puncoq), wurde zum Vorsitzenden des Regionalparlaments gewählt.
Die tatsächliche Macht in der Region wird von der Kommunistischen Partei und deren Regionalchef Zhang Qingli ausgeübt. Zhang hat für eine strikte Kontrolle der buddhistischen Klöster sowie des politischen und gesellschaftlichen Lebens gesorgt. Der 59-jährige Han-Chinese ist ein enger Vertrauter von Staats- und Parteichef Hu Jintao, der selbst in den Achtzigerjahren Parteichef in Tibet gewesen war.
Es gibt zur Zeit nur Spekulationen, was hinter dem Wechsel steht. Buchung Tsering von der Tibetischen Regierung im Exil spekuliert nach dem Motto des Dalai Lama „Das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste vorbereitet sein“. Optimistisch gesehen, könnte der auf einer Tagung der Regierung über die ökonomische Entwicklug Tibets beschlossene Wechsel auf eine umfassendere Wende in der chinesischen Tibet-Politik hinweisen. Dagegen spräche aber die Tatsache, dass der als „Hardliner“ bekannte Parteivorsitzende Zhang Qungli nicht abgelöst wurde. So könnte die Ablösung von Jampa Phuntsok auch dadurch motiviert sein, dass er die Erwartungen der Konservativen nicht erfüllte.
Quellen: Spiegel; Der Standard (A); savetibet.org
11. Januar 2010
Sechs Jahre Gefängnis für „Leaving Fear Behind“
Dhondup Wangchen, der tibetische Filmemacher, den die chinesischen Behörden vor fast zwei Jahren wegen seines Dokumentarfilms über die aktuelle Lage in Tibet festnahmen, wurde wegen „Spaltung des Mutterlandes“ zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Der Urteilsspruch erfolgte am 28. Dezember 2009. Wo Dhondup Wangchen vor Gericht gestellt wurde, ist nicht bekannt.
Dhondup Wangchens in der Schweiz lebende Verwandte erhielten keine Kenntnis von dem Prozess oder der Verurteilung. Bundesrätin Widmer-Schlumpf hatte sich in China für ihn eingesetzt.
Der 35jährige Dhondup Wangchen wurde am 26. März 2008 zusammen mit seinem Assistenten, dem Mönch Jigme Gyatso, wegen der Dreharbeiten für den Film „Leaving Fear Behind“ festgenommen. Dieser Film dokumentiert das Leben der Tibeter unter chinesischer Herrschaft. Sie sprechen darin über ihre Haltung zum Dalai Lama und darüber, was sie von den Olympischen Spielen in Beijing halten. Jigme Gyatso, der nach sieben Monaten, am 15. Oktober 2008, freigelassen wurde, berichtete später von den Misshandlungen, die er in der Haft erlitten hatte.
Wie International Campaign for Tibet (ICT) am 17. September 2009 berichtete, leidet Dongdup Wangchen an Hepatitis B; eine angemessene medizinische Behandlung wird ihm verweigert.
Die chinesische Regierung hat den von Wangchen gewählten Rechtsanwalt Li Dunyong im Juli 2009 abgesetzt und ihm statt dessen einen staatlichen Verteidiger zugewiesen [vergl. Tibet-Information vom 22. Juli 2009; UM].
Wangchens Anwalt Li Dunyong berichtete, dass sein Mandant gefoltert wurde, um ein Geständnis aus ihm zu erpressen und dass er ein Jahr danach immer noch unter den Folgen der Misshandlungen und Schmerzen leide. Bei dem Gespräch mit Li Dunyong habe Wangchen gesagt, er habe sich niemals zu einer der ihm angelasteten Rechtsverletzungen bekannt.
Internet-Zensurbehörde in China in Hochform
China hat in den letzten Wochen die Internet-Zensur nochmals verschärft. Jüngste „Opfer“ sind die Nachrichten-Plattform wired.com und die Internet-Datenbank über Filme, IMDB. Wired.com wurde weder über die Massnahme noch über die Gründe informiert. IMDB vermutet als Grund für die Blockade, dass sie auch Filme über Tibet auflisten, die Chinas Zensurbehörde missbilligt.
Auch Apple straft die Zensurbehörde. Mindestens fünf Apps zum Dalai Lama wurden aus dem chinesischen App Store für das i-Phone entfernt. Die User konnten damit etwa Zitate des Dalai Lama aufrufen oder eine virtuelle Gebetsmühle drehen, berichtet das Onlineportal computerworld.com. In den App Stores anderer Länder sind die Programme nach wie vor zu finden. Den Grund für den plötzlichen Rauswurf wollte Apple nicht verraten. Eine Pressesprecherin sagte gegenüber dem Onlineportal lediglich: «Nicht alle Apps sind in jedem Land verfügbar. Wir müssen uns jeweils den lokalen Gesetzgebungen anpassen.» Auch eine App über Rebiya Kadeer fiel den Zensoren zum Opfer. Die Menschenrechtsaktivistin setzt sich für die Rechte der Uiguren in der Volksrepublik China ein.
Unterdessen verklagt die Softwarefirma Cybersitter, die auf Internet-Filter spezialisiert ist, die chinesische Regierung auf 2.2 Mrd. Dollar Schadenersatz, weil angeblich 3000 Zeilen des patentierten Programmcodes für die Internetzensur-Software „Green Dam“ illegal abgeschrieben und verwendet wurden. „Green Dam“ soll in China grossflächig eingesetzt werden, um angeblich vor „Pornografie“ zu schützen, filtert aber auch politisch missliebige Inhalte aus dem Internet [vergl. Tibet-Information vom 26. August 2009; UM].
Quellen: Department of Information and International Relations, Central Tibetan Administration (Dharamsala, Indien; adaptierte dt. Uebersetzung durch IGFM München); wired.com; 20min.ch